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Dr. Heinrich Hermelink, ' Friv9tdocent in Leipiig. 8. 1906. M. 4.8Ö. TXabCp D. WiatHUß Dr. fflanin Catbers Ceben, Cba- ten und ffleinungen auf 6rund reid)Ud)er IQttteilungen ] aus seintn Briefen und SAriftcn dem Volke erjäblt Drei Bände* 0ro$5 8.—. 1901. in. 8. — . (bisher ffi. 12,50). gebunden ffl. 12.50. (bisher (ß. 18.—). „. . . 6erne bringen wir dietes vortrefflid>e Qlerh in iSrinnerung» dem keine andere populäre I^ebensbe$d)reibun9 JTuthers an die Seite gestellt werden bann. Jhr Sauptvoriug liegt darin, dass sie niöglid)tt mit jCuther^s eigenen Gierten redet; in gewitfer (Qeife vereinigt Tie eine £iither-Biograpbie und eine Huswahl feiner CCUrke in Tidb, da alle I)auptfd)riften £uther's, fei es ini Hus- |ugc, sei es voUftandig — » in modernes Deutfd) übertragen — , mitgeteilt werden. Cdir wünfdien dem Bud>e, von dem im iCutherjahre jahlreicbe 6xemplare abgefetzt worden find, nod) eine weitere Verbreitung, dem Hn denken Cuther's jur 6hre und unferem Volke jum Segen." Ghe6togiTd)e Citeraturfcitung. 1901. Hr. 25. Die Lehre der Reformation von der Taufe. i Ein theologisches Gutachten zum Bremer Taufstreit. Von D. J. Gottschick^ Professor der Theologie in Tübingen. 8. 1906. M. —.80. (Hefte zur Christliclien Welt 56.) , . L . I Die religiösen ßeformbestrebungen äes deutscten Humanisniiis Uc. Dr. H. Hermelink Tatdoi«nt der Kiichsii|(e>cbiclite in litipEi«. Täbingen Verlag von J. C. B. Uohr (Paul Siebeck) 1907. tt?,7 T3 v\H- Alle Rechte vorbehalten. Druck ron U. Laupp jr in Tübingen« Vorwort Die vorliegende Studie ist eine Erweiterung meiner am 30. Mai 1906 gehaltenen Probevorlesung. Trotz meines Widerspruchs gegen die Aufstellungen von Wemle und Tröltsch wird der kundige Leser leicht finden, wie sehr ich durch die Arbeiten der beiden Gelehrten angeregt worden bin und wie viel ich ihnen zu verdanken habe. Leipzig, 15. Oktober 1906. Hermelink. — 1 — Des Erasmus Stellung zur Reformation, die persön- liche Teilnahme des Humanistenfiirsten an den religiösen Bewegungen seiner Zeit und die innere Entscheidung, die er dabei getroffen, das sind Fragen, für welche die Geschichtsschreibung bis zum heutigen Tag eine aus- reichende Antwort nicht gefunden hat. Es ist unzählig vieles darüber geschrieben worden, von Protestanten und Katholiken, von entschieden kirchlicher Seite und von solchen, welche sich als Erben Erasmischen Geistes be- trachteten. Aber eine Einigung auch nur in den Funda- menten der Betrachtung ist nicht erzielt worden. Wie selten eines, schwankt dieses Charakterbild in der Ge- schichte; und zwar ist es nicht so sehr, wie bei seinem Gegner Luther, der Parteien Gunst und Ungunst, welche dieses Schwanken verursacht, sondern über Erasmus kann man innerhalb der einzelnen Parteien die verschiedensten Urteile hören : Während Janssen über ihn hergefallen ist als über den Typus frivoler Skepsis und moralischer Un- zuverlässigkeit, stellt Drummond ihn über Luther und Zwingli, weil er unvermählt blieb und nicht unter Bruch des Priester- oder Mönchsgelübdes zur Befriedigung der Fleischeslust heiratete. Der protestantische Reformations- historiker Maurenbrecher rühmt seine männliche Haltung und Charakterfestigkeit inmitten der beiden Religions- pL.rteien — ein Urteil, das dem sonst auch im prote- stantischen Lager üblichen völlig entgegengesetzt ist. Und Hermelink, UumanismuB. 1 — 2 — wenn auch in neuester Zeit die Schätzung des Erasmus wieder einen Höhepunkt erreicht hat, wie selten in früheren. Perioden der Geschichtsschreibung, so ist auch hier wieder ein eigentümliches Schwanken, man kann fast sagen, ein sich aufhebender Gegensatz der Anschauung bemerkens- wert : Wernle und Tröltsch preisen die Jesusfrömmigkeit des Erasmus, das Evangelium der Bergpredigt, das er im Gegensatz zu Paulus verkündet haben soll. Martin Schulze und Karl Müller sind im Gegenteil geneigt, auf die paulinisch klingenden Stellen Gewicht zu legen und aus ihnen die innerliche Kraft der Erasmischen Religiosität zu begründen. Tröltsch und Walther Köhler legen Wert auf die anti-supranaturalistische, weltzugewandte Art dieser Frömmigkeit, während Martin Schulze die meditatio vitae futurae als Grundbegriff des religiösen und sittlichen Lebens bei Erasmus nachzuweisen versucht ^). Diese Gegensätze der Anschauungen und der bisherige Mangel an jeglicher Einigkeit erklärt sich zum Teil aus der Be- schaffenheit der Quellen. Der Text von Erasmus' Schriften und Briefen ist immer noch in einer heillosen Verwirrung, wenn auch die chronologischen Schwierigkeiten neuerdings einigermassen beseitigt sind. Erasmus selbst und auch seine Herausgeber haben in den ausserordentlich zahl- reichen Drucken der einzelnen Schriften und Briefe immer wieder Aenderungen und stilistische Verbesserungen an- gebracht, so dass erst eine neuerdings beginnende Eras- musphilologie und eine kritische Neuausgabe der Werke ein sicheres Urteil ermöglichen und namentlich auch darüber Aufklärung schaffen wird, ob nicht Erasmus in einzelnen seiner Formulierungen, ebenso wie seine Schüler, von Luther abhängig ist. Bis es aber so weit ist, gilt es — 3 — mit aller Vorsicht vorzugehen; und eine gewisse An- näherung an die Lösung des Problems ist meines Er- achtens zurzeit nur möglich, indem man den Humanisten- könig hineinstellt in die ganze Kulturbewegung, der er zweifellos angehört hat, und aus der er erklärt werden kann. Wenn je bei einem unter den Grossen im Reiche des Geistes ein solches Verfahren berechtigt ist, so ist es bei diesem, der eine komplizierte und zusammengesetzte Natur war, nicht vorwärtsstürmend in originalem Kraft- gefühl und in impulsiver Selbstsicherheit, sondern bedacht- sam lenkte er seine Schritte, das Gestern in seiner ganzen Fülle ebenso in seine Rechnung ziehend, wie das Heute und das Morgen. Um die religiöse Bedeutung des Erasmus zu erforschen, fragen wir deshalb nach den religiösen Reformbestrebungea des deutschen Humanismus. Es gilt aus dem, was Eras- mus von seinen Vorgängern überkommen, und aus dem, was er bei seinen Schülern gewirkt hat, ein einheitliches Bild zu zeichnen, in welchem die Abgrenzung der Lichter und der Schatten aus des Erasmus eigenem Lebenswerk verschärft und verdeutlicht werden kann. Wenn wir also die religiösen Reformbestrebungen im deutschen Humanismus kennen lernen wollen, handelt es sich zunächst darum, über die Bedeutung dieser Kultur- bewegung klar zu werden. Was war der deutsche Hu- manismus seinem innersten Wesen nach ? Die landläufige Vorstellung darüber ist die, dass der Humanismus in Deutschland ein Ausläufer der italienischen Renaissance- bewegung sei. Man glaubte bis vor kurzem, dass wesent- lich in zwei Etappen die Bewegung der italienischen Renaissance über die Alpen gewandert sei. Zunächst bei 1* — 4 — den alten und frommen Humanisten sei sie als rein formales Prinzip der Wiederbelebung der Antike und der Rückkehr zu reineren Quellen erfasst worden. Daraufhin habe in der jüngeren Humanistenschule eine radikale Bewegung eingesetzt, die auch materiell den Geist des heidnischen Altertums wiederherzustellen und in der per- sönlichen Lebensführung durchzusetzen bestrebt gewesen sei. Allein erstens liess sich die Scheidung zwischen den beiden Schulen der älteren frommen und der jüngeren heidnischen Humanisten durchaus nicht einwandfrei durch- führen: Das Leben und Dichten der ältesten humanistischen Wanderapostel und „Poeten" dürfte am ehesten heidnische Züge an sich tragen, obwohl gerade sie am allerwenigsten den mittelalterlichen Bannkreis überschritten haben. Und zweitens musste man auch bei den Bestrebungen der jüngeren Humanistenschule sofort hinzufügen, dass der echte Geist der Renaissance in ihnen nicht lebte, dass die Wiedererweckung des klassischen Altertums diesseits der Alpen und vornehmlich in Deutschland über schwache Ansätze nicht hinauskam. Eine eigentliche „Kultur der Renaissance", wie man sie sich im Anschluss an deren beredten Geschichtsschreiber für Italien vorstellt, ist in unseren Gegenden eben leider nicht aufgeblüht. Diese Tatsache musste man einfach zugeben, mochte man nun im einzelnen die politischen und sozialen Verhältnisse oder die Charaktereigentümlichkeit der nordischen Völker verantwortlich machen, oder mochte man die ungeschickte Tölpelhaftigkeit des Wittenberger Bauernsohnes anklagen, der den Geist der Zeiten verkennend auf eine abgetane mittelalterliche Frage eine neue Antwort suchte. Eine solche Geschichtsbetrachtung, welche den Hu- — 5 — manismus in Deutschland, Frankreich und England nur unter dem Gesichtspunkt auflfasst, dass er ein Ausläufer, ein verkümmerter Seitenzweig der italienischen Renaissance gewesen sei, die wird dem Wesen der nordischen Be- wegungen nicht gerecht; sie ist in Gefahr, das innerste Ziel und die eigentliche Kraft des nordischen Humanis- mus zu verkennen. Dieser ist eine wesentlich einheitliche und selbständige, in seiner Eigenart von der italienischen Renaissance scharf zu unterscheidende Grösse in der Geschichte. Italienische Renaissance und nordischer Hu- manismus laufen nebeneinander her, als zwei parallele weitverzweigte Stromsysteme, die verschiedenartiges Kul- turland befruchten und infolge davon verschiedenartige Landschaftsbilder verursacht haben. Selbstverständlich sind es viele Kanäle, die herüber- und hinüberführen. Uild insonderheit hat der nordische Humanismus der älteren südländischen Schwester manch wichtige Anregung und wesentliche Förderungen zu verdanken. Aber es waren nur Kräftigungen und — darauf ist das Gewicht zu legen — es waren nur Zuflüsse; der Ursprung der Bewegung, das Quellgebiet des nordischen Stromes ist diesseits der Alpen zu suchen. Die neueste Forschung über die Anfänge der italie- nischen Renaissance hat das in glänzenden Farben ge- malte, aber gründlich verzeichnete Bild Jakob Burkhardts verworfen und hat uns gelehrt, die italienische Renaissance seit Franziskus und Dante als eine Reformbewegung auf mittelalterlich-kirchlichem Boden aufzufassen, die mit dem Zug zur Verinnerlichung und zur Steigerung ins Grandiose, die ferner mit der Ergreifung und Ausdehnung der in der kirchlichen Kultur enthaltenen antiken Elemente die — 6 — bekannten echten und grossen Wirkungen erzielt hat, während das antikisierende Heidentum nur als unfrucht- barer Seitenzweig zu erachten ist. Ganz ebenso und parallel hierzu ist die Entwicklung des nordischen Hu- manismus vor sich gegangen. Man wird auch dem Hu- manismus in Deutschland und man wird insbesondere den einzelnen Humanisten mit ihren vielfach widersprechenden Aeusserungen über Religion und religiöse Dinge nur dann gerecht, wenn man sie, wie das Maurenbrecher zum erstenmal getan hat, eingliedert in die Reformbewegungen innerhalb der katholischen Kirche des ausgehenden Mittelalters. Dies soll im Folgenden versucht werden, indem erstens das Entstehen der eigentlich humanistischen Bewegung aus den Reformationsbestrebungen der Kirche an Haupt und Gliedern nachgewiesen wird. Im Anschluss daran gilt es zweitens die spezifisch religiösen Ideen des älteren deutschen Humanismus vor dem Auftreten des Erasmus klarzulegen. Darauf handelt es sich drittens um die Stellung des Eras- mus zu der bisherigen Entwicklung. Und endlich ist in einem vierten Schlussabschnitt über die Ausgänge der hu- manistischen Reformbewegung und über die Nachwirkung der Erasmischen Gedanken zu reden. I. Wie ist das, was wir Humanismus zu nennen gewohnt sind, aus der allgemeinen Kirchenreformationsbewegung des 15. Jahrhunderts entstanden? Bei diesem Punkt ist ein gewisses Verweilen deshalb notwendig, weil allein durch diese Entstehungsgeschichte die positiven Reform- forderungen des Humanismus auf religiösem Gebiet voll — 7 — verständlich werden. Der Ruf nach einer Reformation der Kirche und nach einer Aenderung der mit dem Kir- chentum aufs engste verknüpften sozialen und ständischen Verhältnisse ist bekanntlich im 15. Jahrhundert nie ver- stummt. Dabei ist es merkwürdig, dass die Neuforderungen auf allen Gebieten, namentlich aber auch auf dem wirt- schaftlichen, politischen und literarischen, am lautesten und radikalsten gerade von Gliedern des geistlichen Or- ganismus vertreten und mit religiös-biblischen Motiven begründet worden sind, wie z. B. aus den verschiedenen gravamina der deutschen Nation, aus der Reformation Sigismunds, aus den Artikeln der Bauern und auch aus den husitischen Forderungen ersehen werden kann. Die ganze Reformbewegung verläuft wesentlich auf kirchlichem Boden; und wenn auch gegen die offizielle Kirche ge- richtet, so ist sie doch ohne die Voraussetzung der kirch- lichen Kultur nicht denkbar; von der Kirche, die sie bekämpft, entlehnt sie die Waflfen zum Streit. Gegen Mitte des Jahrhunderts sondert sich von dieser grossen kirchlichen Reformbewegung ein selbständiger Zweig ab, der darauf gerichtet ist, dem Laienelement eine von der kirchlichen Bevormundung freie geistige Kultur und eine eigene innerliche Religiosität zu ermöglichen. Das Be- dürfnis hiezu regte sich in den Städten, in welchen die Bürgerschaft selbständig geworden war ; es regte sich an den Fürstenhöfen und Adelsitzen, wo die Herren in kräftiger Selbstherrlichkeit ihr Territorium nach aussen abzuschliessen sich bemühten; und nicht zum mindesten regte sich jenes Bedürfnis innerhalb der kirchlichen Or- ganisationen selbst, bei den minderen Laienbrüdem der Bettelorden und in den Frauenklöstern, wo man auch — 8 — persönlichen Anteil nehmen wollte an dem mächtigen Aufschwung des kirchlichen Lebens und der kirchlichen Wissenschaft. Auch hier wieder sind es in erster Linie Geistliche, die Beichtväter der Fürsten und die Berater der Nonnen, welche den kirchlichen Wissensstoff aus Bibel, Kirchenvätern und Antike durch üebersetzung den- jenigen Laien nahebrachten, welche nicht vorzogen, durch eigene Erlernung der lateinischen Sprache der kirchlichen Vermittlung gegenüber noch selbständiger dazustehen. So entstand um die Mitte des 15. Jahrhunderts eine Vorblüte des Humanismus in schwäbischen Reichsstädten, an * verschiedenen Fürstenhöfen, in den Nonnenklöstern und adeligen Frauenstiften. Den Namen schöpfte man aus Cicero, der das griechische Wort TuaiSeta mit humanitas übersetzt. Man wollte gebildet sein, man erstrebte die humaniora im Gegensatz zum ungebildeten Volk 2). Bei- spiele dafür sind in Augsburg der Domherr Andr. von Eyb und der Patrizier Sigism. Gossembrot, in Esslingen und Ulm der Stadtschreiber Niclas von Wyle und der Arzt Heinrich Steinhoewel; femer die Markgrafen Albrecht Achilles und Johannes auf der Plassenburg bei Kulm- bach und Graf Eberhard im Bart von Wirtemberg, die Pfalzgräfin Mechthild, die gelehrte Priorin Veronika Welserund die edle Margaretha von Staffel, die mit ihrem Hauskaplan die alten Klassiker in der Ursprache las und das Leben des heil. Bernhard in schwungvollen deutschen Versen beschrieben haben soll. Schon jetzt beginnen dieBeziehungen zur italienischen Renaissance : Ein Graf Eberhard im Bart Hess für sich nicht nur eine deutsche Glaubenslehre und eine Erklärung der zehn Gebote verfassen, sowie den Aesop und die Konfessio- — 9 — nen des heil. Augustin übersetzen, sondern er wünschte auch das Dekameron Boccaccios und die lüsternen Ge- schichten desPoggio, sowie den Petrarca in seinem Deutsch lesen zu können. Da und dort beherbergte man einen italienischen Abenteurer oder einen deutschen „Poeten", der jenseits der Alpen gewesen. Es beginnt die Wallfahrt der deutschen Patrizier- und Adelssöhne nach Bologna und Padua. Die Bedeutung der anlässlich der Reformkonzilien in Deutschland weilenden Italiener für das Entstehen der humanistischen Bewegung ist schon weit überschätzt worden. Enea Sylvio Piccolomini war ja während seines 23jährigen Aufenthalts in Deutschland zweifellos bemüht, den Sinn für Eleganz und Eloquenz beim Gebrauch der lateinischen Sprache zu verbreiten. Aber er fand noch wenig Beifall, weder in den Städten noch bei Fürsten und Prälaten ; nur eine kleine Schar von Kanzleigenossen hatte Freude mehr an dem Inhalt seiner lasziven Poesien als an der fast himmlischen Eloquenz der Sprache. Ent- scheidend für den Beginn der humanistischen Bewegung in Deutschland sind diese verschiedenartigen Berührungen mit Italien nicht. Der entscheidende Anlass und die tiefere Ursache der Bewegung war das im eigenen Land ent- standene Bedürfnis der durch die sozialen und politischen Verhältnisse emporgekommenen Volksklassen, an der kirch- lichen Kultur der Gegenwart persönlich teilzunehmen und sich frei zu machen von der Bevormundung durch die Geistlichkeit. Diesem auf allen Seiten sich regenden Bedürf- nis entsprach in Norddeutschland und in den Niederlanden die von Gert Groote gestiftete Brüderschaft des gemein- samen Lebens. Ihre geschichtliche Aufgabe war nicht nur die Schaffung einer kirchlichen Laienkultur auf religiös- V — 10 — innerlichster Grundlage, sondern ihre von der Kirche genehmigte und unterstützte Organisation diente gegen Ende des Jahrhunderts vorzugsweise auch zur Verbreitung der eigentlich humanistischen Bewegung in den Nieder- landen und in Norddeutschland. In den süddeutschen Städten und in der Gemeinschaft jener norddeutschen und niederländischen Brüder ist dann vorzugsweise die Kunst gepflegt worden, die, diesseits der Alpen erdacht, die kirchliche Kultur den weitesten Volkskreisen zugäng- lich machen sollte und die dadurch die einzelnen Volks- teile zu einer geistigen Gemeinschaft zu vereinigen be- stimmt war — die Buchdruckerkunst. Für den Fortgang der humanistischen Sache war die Frage entscheidend, wie die Universitäten sich zu der neuen Bewegung stellen würden. Die Universitäten waren entstanden und aufgeblüht zusammen mit der Scholastik. Das ist diejenige wissenschaftliche Methode, welche das gesamte kirchliche Leben in seiner breitesten Fülle mit schulmässigen Begriffen zu erfassen, zu ordnen und in Einklang zu bringen bemüht ist. Zu diesem Zweck hatte die Scholastik einen solch subtilen Begriffs- apparat ausgebildet, mit dem eine neu aufkommende Laienkultur von vorn herein nicht zu arbeiten verstand, und den sie daher, sobald sie ihrer selbst bewusst wurde, prinzipiell abzulehnen genötigt war. Merkwürdigerweise wurde sie dabei unterstützt durch eine an den Universi- täten selbst entstandene, scheinbar reaktionäre Reform- bewegung. Die letzte Phase der Scholastik, der Ocka- mismus, hatte es zu bunt getrieben. Gegen seine soge- nannte terministische, von öden Spitzfindigkeiten strot- zende Logik und Wissenschaftslehre kämpfte seit Mitte — 11 — des Jahrhunderts im Zusammenhang mit den Reform- konzilien und unter Berufung auf Gerson eine Reaktions- bewegung, die via antiqua genannt. Mit Mitteln, die nicht immer einwandfrei sind, dringt sie an fast allen Universitäten durch, und im Bunde mit ihr siegt auch der Humanismus an den Universitäten. Wie kam das? Wie wurde die scholastische Richtung der via antiqua; die Verbündete jener vorhin beobachteten Bewegung für religiöse Laienkultur? Indem beide Bewegungen gleicher- massen die Parole nach Vereinfachung der Wissenschaft ausgaben, nach Reinigung der Theologie von den allzu scholastischen Spitzfindigkeiten. Die via antiqua will nichts wissen von den logisch-terministischen Sophismen. Sophismata vestra contemnimus, de terminis non cura- mus, nos imus ad res. So lautet das Motto der via antiqua. Und hieraus werden von diesen Halbschola- stikern die drei echtesten Förderungen des Humanismus entwickelt: Rückkehr zu den Quellen, Ausbildung der Sprachwissenschaft und Pflege der Real Wissenschaften, der Mathematik, Naturkunde und Geschichte. Der Ruf nach den Quellen entwickelt sich aus der Forderung einer via antiqua. Man kämpft für die alte Methode, für den alten Glauben gegenüber den logischen „Sophistereien" der ockamistischen Neuerer. Man wollte zurückgreifen auf die Theologie der Vorzeit und war zunächst bescheiden genug, das nächstvorhergehende System der Scholastik, die skotistische Theologie, dem Ockamismus gegenüber ins Feld zu führen. Offiziell heisst die realistische Richtung der via antiqua in den Universitätsurkunden auch via Scoti. Doch die skoti- stischen Antiqui lehnen sich meist nur in der Erkennt-? — 12 — nistheorie an Scotus an, in der weiteren Ausführung ihrer Gedanken huldigen sie einem ausgesprochenen Eklek- tizismus; sie gehen zurück auf Thomas, auf Albert, ja sie gehen noch weiter zurück auf die Kirchenväter, bis die Bewegung ihren Stillstand erreicht in dem Ruf: Die Quellen der Theologie sollen uns dargeboten werden. Einen „reinen" Aristoteles fordern unabhängig von ein- ander und unabhängig von Italien die Realistenschüler Lef^vre, Zwingli und Melanchthon ^), und über Aristoteles und seinen Kommentator Averroes wird ein Zurückgehen auf die einfachen Gebote Christi und seiner Apostel ge- fordert von Lefövre, Summenhart und Wyttenbach, dem Lehrer Zwingiis. Nachdem einmal der Ruf ertönt war: Zurück zur via antiqua, zu besseren Vorbildern der Theo- logie, da gab es keinen Stillstand, bis die via antiquis- sima erfasst war. Man wanderte den weiten Weg den Strom entlang zurück, bis man an der reinen Quelle stand. Dem Ruf zu den Quellen steht zur Seite die For- derung der Pflege von Sprach- und Realwissenschaften. Nachdem beide im Mittelalter überhaupt wenig geblüht hatten, waren sie in der Umklammerung der ockamisti- schen Logik vollends ertötet worden. Die zum Humanis- mus überführende scholastische Richtung der via antiqua fordert getreu ihrem Programm: Nos imus ad res! eine Pflege der Sachwissenschaften; sie vermittelt in ihrer realistischen Schule die Tatsachen der Gotteswelt in Natur und Geschichte, von den alten Scholastikern zu deren arabischen und griechischen Vorbildern und dann zu eigener Forschung übergehend. Aus der Berührung mit Italien kann die Entstehung der modernen Natur- — 13 — Wissenschaft im humanistischen Zeitalter nicht er- klärt werden. Hier finden wir die Entstehungsursache: Der Schüler des in Paris gebildeten Realisten Scriptoris ist der Astronom Stöffler in Tübingen, dessen Schüler heisst Mästlin, und dessen Schüler heisst Kepler. Ein Pariser Sendbote der via antiqua in Krakau ist Michael von Bystrzykow, sein unmittelbarer Schüler heisst Koper- nikus. Ebenso wie die Mathematik wird in der Schule der via antiqua im Gegensatz zum Ockamismus die Grammatik und Rhetorik selbständig gepflegt. Eben jener Michael von Bystrzykow in Krakau*) hat über Ciceronianisches Latein gelesen und versorgte fast alle deutschen Universitäten mit Lehrern der Eloquenz. Das Resultat der bisherigen Ausführungen ist, dass der Humanismus in Deutschland und Frankreich eine Reformbewegung für selbständige Laienkultur auf kirch- lichem Boden war, die in ihrem Streben nach einfachen und leicht zugänglichen Bildungsmitteln wissenschaftlich unterstützt und weiter ausgebildet worden ist von einer anderen, innerhalb der Universitäten selbst entstandenen Reformbewegung, die dem auch dort sich geltend machen- den Bedürfnis nach Vereinfachung und Klärung der kirchlichen Wissenschaft gerecht zu werden versuchte. In exaktester Forschung von Person zu Person und von Schule zu Schule lässt sich nachweisen, wie aus dem Bund jener beiden Bewegungen der eigentliche Humanis- mus eines Agrikola und Celtis, eines Reuchlin und Wim- pheling herausgewachsen ist. Die wesentlichen Merk- male des echten Humanismus bestehen eben in der Ver- einigung jener beiden Tendenzen^ der Verselbständigung der Laienbildung gegenüber der Kirche und der Ver- — 14 — selbständigung der Einzelwissenschaften gegenüber der Theologie. Beide Tendenzen wirken zunächst nur formal und auf die Dauer nur latent antikirchlich und anti- theologisch ; die eigentliche Absicht und das seiner selbst bewusste Streben fast aller deutschen Humanisten ist der Friede mit der Kirche und die Erreichung des kirch- lichen Ziels, wenn auch mit einfacheren Mitteln, als im offiziellen Kirchentum und in der scholastischen Theologie geschehen ist. Beide Tendenzen sind nur von einer ge- wissen Höhe geschichtlicher Voraussetzungen aus ver- ständlich; daher ist auch die Teilnahme an der echt humanistischen Bewegung keine allgemeine, sondern sie bleibt einer wenn auch verhältnismässig breiten aristokra- tischen Schicht vorbehalten. Selbstverständlich darf auch auf dieser Stufe der Entwicklung der Verkehr mit Italien in keiner Weise unterschätzt werden. Die humanistischen Schüler der via antiqua sind nacheinander alle hinübergewandert. Aber sie bringen ihre eigenen Masstäbe mit zur Beur- teilung der italienischen Verhältnisse; der Friese Agri- kola tadelte die Welschen, denen das Studium des klas- sischen Altertums Anlass wird zu unchristlicher Lebens- auffassung, und er wusste dabei das Ciceronianische Latein zierlicher zu handhaben, als je ein Italiener seiner Zeit. Es wird deii deutschen Humanisten in Italien ein grös- serer Teil des Altertums übermittelt, als ihnen diesseits der Alpen bekannt geworden war. Sie lernen nament- lich Plato kennen, der mit Hilfe von Cicero ausgelegt wird; und ihre auf heimischem Boden gewonnene Lebens- auffassung wird im Verkehr mit Marsilius Ficinus, Picus von Mirandola und Baptista Mantuanus gekräftigt und — 15 — vertieft. So kommen sie wieder zurück und verkünden noch lauter, als bisher geschehen ist, das Evangelium einer neuen, selbständigen Religionsauffassung. II. Welches waren die spezifisch religiösen Ideen und Reformbestrebungen des älteren deutschen Humanismus bis zum Auftreten des Erasmus? Sie ergeben sich aus der bisherigen Entstehungsgeschichte des Humanismus. Das Ziel ist Vereinfachung der religiösen Technik, Ver- selbständigung der Einzelpersönlichkeit gegenüber dem Apparat der Kirche; die Mittel sind die von der rea- listischen Schule der via antiqua an den Universitäten ausgebildeten, die durch die Italienfahrten der deutschen Humanisten klarer erkannt und erweitert worden sind, nämlich Rückkehr zu den Quellen der heiligen Schrift und der Antike, sowie Ausbildung der Laienwissen- schaften, der Grammatik und Rhetorik, der Mathematik und Naturkunde. Das religiös-moralische Ziel der Menschheit verleiht den verschiedenartigen und entgegenstrebenden Tendenzen der humanistischen Bildung Einheitlichkeit und Mass- stäbe zur Beurteilung. Die neben der scholastischen Theologie und Dialektik selbständig aufkommenden Einzel- wissenschaften werden nur als Mittel gewertet zur Er- reichung des hohen Ziels. Nicht gleichberechtigt stehen die neuen Wissenschaften nebeneinander: Die Gramma- tik diene den Sachwissenschaften, den Realien, die ver- mittelst der Grammatik aus den Schriftstellern der Bibel und der Antike geschöpft werden sollen ; die Sach- wissenschaften wieder sind ebenfalls nicht Selbstzweck, — 16 — sondern sie sollen dazu dienen, die heilige Geschichte besser zu verstehen und das Gemüt zu reinem Lebens- wandel zu bilden. Die ganze Naturkunde, sagt Agri- kola, und das Studium des klassischen Altertums hat nur Wert als Mittel zu einer tieferen Auffassung der heil. Schrift, zur Hebung und Förderung der christlichen Bildung und Wissenschaft. Nach Wimpheling ist alle Wissenschaft und alle Weltweisheit nur dazu da, dass wir uns von allen Leidenschaften reinigen und im Glauben an Gott mitarbeiten an dem grossen Bau, dessen Baumeister Gott selbst ist. Und B-euchlin schreibt 1488 an den Karthäuserprior Louber, dass er von nun an den heilbringenden Denkmalen des neuen Gesetzes sich zuwenden und alle anderen Schriftsteller, Historiker, Dichter, Redner und Philosophen weniger achten werde, denn ein Christ müsse sich vor allem mit den Schriften beschäftigen, die von den ersten Anhängern Christi gleich- sam mit göttlichem Geist geschrieben seien. Auch nach des Celtis Meinung ist die Philosophie und Eloquenz, wie sie aus den Schriften der alten Philosophen, Dichter, und Redner geschöpft werde, nur dazu da, zur virtus zu führen. Durch sie wird Bildung und Weisheit, wahrer Ruhm und Unsterblichkeit erworben. Die Poesie lehre die Tugend lieben und das Laster verabscheuen. So seien Philosophie und Poesie die Fundamente der wahren Religion, wie sie von den reinsten und beredtesten Schriftstellern unserer Religion (Augustin und Hierony- mus) vertreten werde. Bei Plato, Pythagoras und den anderen hervorragenden Philosophen findet man gewisse Fundamente unserer Religion, durch die man den schönen Bund des Lichts der Natur und der Gnade erst richtig ver- — 17 — stehen könne. In diesem Zusammenhang wird regelmässig auf die griechischen Kirchenväter hingewiesen, bei wel- chen das Studium humanitatis mit der divina scientia vereinigt war, insbesondere wird stets in höchst bezeich- nender Weise die berühmte Rede des Basilius „an die Jünglinge" angeführt, in welcher der grosse Bischof von Cäsarea die klassische Literatur um der aus ihr zu ge- winnenden moralischen Antriebe wegen als Vorbereitung zur Gotteswissenschaft gelten lässt. Ein üniversalismus der Auffassung tritt uns da ent- gegen, der auf den ersten Blick bestechend wirkt. Die ganze weite Welt der Gottestatsachen in Natur und Ge- schichte, in Altertum und Kirche soll studiert und zur Bildung des christlichen Charakters verwandt werden. Ein „schöner Bund des Lichts der Natur und der Gnade" ist geschlossen. Wie sympathisch ist die Gestalt des Pfarrers von Glarus, der die Geographie des Ptole- mäus mit eigen beobachteten Randbemerkungen über Geschichte und Religion, über Länder- und Völkerkunde, über Arznei- und Naturwissenschaft versieht, der die römischen Geschichtsschreiber und Plutarch, der die griechischen Philosophen und Seneka durcharbeitet, um die Wahrheit zu schöpfen, nach der er strebt, als nach der Sonne der Welt! Aber erinnern wir uns sofort auch der Schränken. Wie einseitig und unmodern ist die ganze Auffassung, die schon in den Ausführungen des Basilius, noch mehr aber bei dessen humanistischen Nachbetern uns entgegentritt : Alles Geschehen in Alter- tum und Natur hat nur einen Sinn, wenn es dem christ- lich-moralischen Endzweck untergeordnet ist. Man beachte, wie ein Agrikola und Reuchlin ebenso wie Beatus Rhe- Herm elink, Humanismus. 2 — 18 — nanus und Mutian gegen Ende ihres Lebens beschliessen, sich ausschliesslich mit der Theologie zu befassen. Diese humanistischen Männer hatten sicherlich ihre reine Freude an der Wissenschaft] als solcher und in manchen gegen Theologie und Kirche gerichteten Worten kommt das für uns zum Ausdruck; aber sie selbst wagten letztlich nicht, sich das zuzugestehen. Sie standen auf dem Boden der mittelalterlichen Kirche und konnten die modernen Wissenschaften, an deren Entstehen sie mitarbeiteten, nicht als Selbstzweck erfassen. Der weitgehende üniver- salismus, die scheinbare Gleichsetzung von Antike und Christentum ist nur quantitativ, nicht aber prinzipiell verschieden von dem, was durch das ganze Mittelalter hindurch geübt wurde: nicht nur wie bisher allein Ari- stoteles, sondern das ganze neuentdeckte Altertum hat die Wahrheit des Christentums zu stützen und zu bestätigen. Und nun noch ein Wort über das Ziel jener religiösen Reform des Humanismus. Es ist Schaffung einer Persön- lichkeitsreligion im Anschluss an die Gebote Christi. Wenn man zur reinen Quelle der Schrift zurückgekehrt ist, da lauten die Worte Jesu und seiner Apostel so einfach, dass man einer weiteren Vermittlung nicht bedarf. Es ist leicht verständlich, dass bei einer Rückkehr zur Schrift unter diesen Voraussetzungen die Evangelien vor den Schriften des Theologen Paulus einen weiten Vorzug gewinnen. Das „Gesetz Christi" im Matthäusevangelium hat schon in allen Laienreformbewegungen des Mittelalters seine besondere Rolle gespielt ; und die beatitudines waren zusammen mit der ganzen Bergpredigt als der am leichtesten fassliche Teil des Evangeliums oftmals erklärt und band- — 19 — schriftlich oder im Druck unter dem Volke verbreitet worden. So wird denn auch jetzt wieder in der huma- nistischen Bewegung tatsächlich der Hauptnachdruck auf das „Gesetz Christi" und auf die Seligpreisungen gelegt, ohne dass man übrigens dessen bewusst geworden wäre, und ohne dass man den Unterschied des Evangeliums von Paulus erkannt hat. Ganz allgemein wird der Apostel neben dem Herrn genannt ; und besonders ßeuchlin schätzt ihn hoch. Er ist ihm Führer, Leuchte, Sonne, heilig, Muster der Wahrheit. Für den Christenmenschen gilt es, das Gesetz Christi und seiner Apostel zu halten, den Kampf aufzunehmen gegen die Lüste des Fleisches, sein Leben rein, lauter und wahr zu gestalten. Das ist wahre Philosophie, die Philosophie, die Philosophie Christi. Von Agrikola ist im Anschluss an den Gebrauch des Wortes Philosophie bei Seneka der Ausdruck geprägt worden, der dann namentlich in der Schule des Erasmus bevorzugt wurde ^). Seneka und Cicero gelten denn auch neben Christus und den Aposteln als die echtesten Ver- treter der „wahren Philosophie". Die eigenartigen Vorzüge dieser „Philosophie Christi" lassen sich nicht verkennen. Es ist ein ernstlicher Ver- such gemacht, gegenüber der sakramentalen Heilsvennitt. lung eine persönliche Religion geltend zu machen. Die Religion muss erfahren werden, und nur das, was erfahren werden kann, wird festgehalten. Das andere wird als kirchlicher Unfug bekämpft. Aber auch hier darf die Schranke nicht übersehen werden, die diesen Standpunkt von einer entsprechenden Moral des common sense unter- scheidet. Die humanistischen Gelehrten und die auf- geklärten Bürger, welche die „Philosophie Christi" nach- 2 * — 20 — zuleben bemüht waren, lebten und starben in der mittel- alterlichen Kirche. Sie war ihnen die Garantin der jenseitigen Belohnung und die drohende Mahnerin an eine ewige Vergeltung. Für die Menschen von damals gab es noch ein Jenseits und ein Wiedersehen. Darum ist jene religiöse Moral keineswegs eine modern weltfreudige und antisupranaturalistische gewesen, sondern sie war eine durch und durch dualistische, motiviert durch den eudämonistischen Gedanken eines jenseitigen Ausgleichs. In dieses oberflächliche Schema werden die Formeln der Seligpreisungen am Anfang der Bergpredigt hineinge- zwängt. Die ganze Frömmigkeit des Humanismus ist, wie sich ihrer Genesis nach auch nicht anders erwarten lässt, eine mittelalterliche, die nur die selbständige Leistung des sich eigenkräftig fühlenden Menschen gegenüber der kirchlichen Heilsvermittlung noch stärker betont, als es im Vulgärkatholizismus üblich ist. Allein eine solche höchste Anspannung der eigenen Kraft wollte das kräftig gewordene und emporgekommene Bürgertum jener Zeit. Der Resonanzboden der huma- nistischen Diesseitigkeitsmoral und Jenseitshoffnung war die bürgerliche Gesellschaft der Städte, deren ausgelassen weltfreudige Stimmung aus den tollen Schwänken der vorhumanistischen wie der humanistischen Literatur zu uns spricht, und die solche Stimmung des Tages wieder ausglich durch um so erregtere Nachtphantasien der Apo- kalyptik. In den Städten hat die humanistische Reform der Religiosität ihr Ziel erreicht. Nur ein Beispiel: Dürer schreibt in einem Briefe über seinen Vater, wie sehr er seine Kinder zur Ehre Gottes aufzuziehen bemüht gewesen sei. In täglicher Rede habe er sie ermahnt, dass — 21 — „wir Gott sollen lieb haben und treulich handeln gegen unsem Nächsten." Man sieht, das religiöse Leben in weiten Kreisen des Volkes war auf eine wirklich einfache Formel gebracht. Indirekt war dadurch der Reformation vorgearbeitet, insofern diese ebenfalls eine Vereinfachung der Religiosität bedeutete. Noch viel wichtiger aber war die direkte Vorarbeit für die Reformation, die der Hu- manismus durch die Kritik an den bestehenden kirchlichen Verhältnissen leistete. Diese Kritik wurde wesentlich übernommen von der scholastischen Richtung der via antiqua, in der eine lange Reihe von Männern in höchstem sittlichen Ernst gegen die „Sophismen" und gegen die Missbräuche der herrschenden Theologie und Kirche ihre warnende Stimme erhoben hatte. Was die antiqui wesent- lich gegen die ockamistische Partei imd ihre Anhänger vorgebracht hatten, das wird von den Humanisten wieder- holt, nur mit der Spitze gegen die ganze Scholastik und gegen die Heuchelei des äusserlichen Kirchentums. Der Grundzug der Kritik an der Kirche ist der durch die positiven Bestrebungen der humanistischen Reform an- gedeutete. Man kämpft gegen alles, was der Einfachheit der religiösen Betätigung zuwider ist, gegen Heiligen- und Zeremoniendienst, gegen Ablass und Mönchtum, gegen PfaflFensünden und Priesterherrschaft. Das Feuer, das die Lehrer der via antiqua Heynlin und Scriptoris, Brulefer und Lef^vre gesät, das brannte lichterloh bei einem Sebastian ßrant und Geiler von Kaisersberg, bei Johann Wessel und Jakob Wimpheling. Von ahnenden Worten jener realistischen Scholastiker vorbereitet, entstand eine Reformationsstimmung, der Lefövre den deutlichsten Aus- druck verlieh, wenn er im letzten Jahrzehnt des aus- ^ — 22 — gehenden Jahrhunderts mehrmals von einer restitutio und reformatio rei christianae sprach ®). So weit war man gekommen, als Erasmus auftrat. III. Erasmus hat dieselbe Entwicklung wie die älteren Humanisten alle durchgemacht. Nachdem er schon in früher Jugend die Bekanntschaft mit Agrikola gemacht, war er Schüler der via antiqua in Köln und zu Paris in dem Skotistenkolleg Mont aigu, dessen Name als Wort- spiel verwendet wurde für die dort gelehrten spitzfindigen Distinktionen des Doctor subtilis. Der eklektische Ari- stoteliker der via antiqua Lefevre war mit anderen sein Lehrer. Schon in Paris lernte er den Skotismus ver- achten. Der Glaube an Thomas wurde ihm in Oxford durch John Colet genommen, der ihn auf die einfache Schrift, speziell auf Paulus hinwies. In Italien bei Marsilius Ficinus und Baptista Mantuanus lernte er vollends die Verehrung für die alten Philosophen und für die Kirchenväter, für Paulus und Jesus, wozu ihm schon in Paris bei Jakob Faber Stapulensis der Grund gelegt worden war. Also Erasmus hat ebenso wie seine Vorgänger Agrikola und Reuchlin aus der via antiqua heraus die Entwicklung zum reinen Humanismus durch- gemacht. Er gehört vollständig in die Bewegung mit hinein. Es handelt sich nun um die Frage: Hat Erasmus die bisher geschilderte religiöse Reformbewegung in neue Bahnen gelenkt? Hat er in religiöser Beziehung ein Neues geschaffen? Darauf gibt es nur eine Antwort: ein ent- schiedenes Nein ! Fraglos hat Erasmus die humanistische Bewegung unendlich verstärkt. Er hat das bisher gegrabene Bett vertieft und den Strom in mächtigeren Fluss ge- — 23 — bracht. Aber einen neuen Durchbruch hat er nicht gerissen, in der alten Richtung fliesst das Wasser weiter. Erasmus war ein Formtalent, wie selten eines; und er war ein Gelehrter, wie es wenige gab. Beides ist nicht häufig in einer Person vereinigt, und beides zusammen hat ihm seine überragende Bedeutung verliehen. Sein Formgeschick war zunächst ein journalistisches Talent, das die Gedanken, die in der Luft lagen, in immer neuen Variationen in hinreissende Worte zu fassen und aufs weiteste zu verbreiten verstand. Noch besser aber als begeisternde Rede gelang ihm die überlegene Ironie und der versteckte Spott. So hat ihn uns Holbein in dem Bildnis des Louvre überliefert, indem die Bosheiten leise um den geschlossenen Mund unter der scharf geschnittenen Nase gewitterleuchten. Erasmus hat diese seine Kunst in den Dienst der humanistischen Reformbewegung ge- stellt. Er hat das Enchiridion militis christiani, den Methodus, die Ratio verae theologiae und den Brief an Paul Volz geschrieben, er hat das Encomion Moriae und die feinsinnigen CoUoquia verfasst; begeisternde und ironisch gehaltene Schriftstücke, unter sich voller Wider- sprüche, ohne Einheitlichkeit und Harmonie der An- schauung ; aber das sucht man auch nicht bei Leitartikeln zum besten einer guten Sache. Sie haben wie Funken gewirkt, da der Zündstoff bereit stand: ö) Zeö, tp ßpovxat, beschreibt der junge Melanchthon seinen Eindruck an Reuchlin. Erasmus ward eine kurze Weile der Führer aller Gebildeten der Nation. Erasmus hat ausser seinem glänzenden Formtalent auch seine ganze weitverzweigte Gelehrsamkeit in den Dienst der neuen Sache gestellt. Er hat den Text des — 24 — Neuen Testaments herausgegeben und hat in unermüd- licher Folge einen der Kirchenväter nach dem anderen der neuen Religiosität übermittelt. Diese neue Religiosität war ihm trotz des Widerstreits einer skeptisch-ironischen Naturanlage ernste Herzenssache und tiefster Lebens- inhalt. Seine gelehrten Arbeiten sind darauf gerichtet, Christi reine Lehre zu erkennen und bekannt zu machen ; in seiner kirchenpolitischen Tätigkeit war sein erstes und sein letztes Wort die Predigt des einfältigen Sinnes Christi, der die Parteileidenschaften überwinde und der allein den Sturm der Seelen stille ; selbst seine eigenartige Stellung zwischen den Religionsparteien, die ihm bis auf den heutigen Tag verdacht worden ist, hat er als Erfordernis seiner Religion zu deuten und zu entschuldigen gewusst ^). Die mancherlei Schwachheiten seines Charakters dürfen nicht davon abhalten, die reine Gesinnung und die edeln Absichten anzuerkennen. Petrarka und Erasmus, Ulrich Hütten und Eoban Hesse wollten „Oratoren" sein. Das sittliche Pathos war stärker als des Willens Kraft; aber es war trotzdem echt. Und vollends die Verdienste auf wissenschaftlichem Gebiet sollen in dem geschichtlichen Urteil über Erasmus in keiner Weise verkleinert werden. Darf er darum als Neuschöpfer auf religiösem Gebiet angesprochen werden? Er soll neben Luther einen selbst- ständigen Typus moderner Religiosität vertreten haben; er soll der Vater des antisupranaturalistischen und uni- versalen Religionsgedankens sein, dem die Zukunft gehört. Er soll im Unterschied von den Reformatoren die Differenz zwischen Jesus und Paulus bemerkt und sich bewusst an Jesus angeschlossen haben ; er soll der Verkündiger einer einfachen Religion der Bergpredigt sein, die sich sympathisch — 25 — abhebt von dem paulinisch-augustinischen Dualismus Luthers. Vergleicht man zur Prüfung dieser Urteile die religiösen Bestrebungen und Gedanken des Erasmus mit denjenigen seiner Vorgänger, so zeigt sich, dass das Ziel seiner Religiosität dasselbe bleibt, wie das bisher geschilderte des vorerasmischen Humanismus; und die Mittel zur Er- reichung dieses Ziels werden eher noch schwieriger. Ein Neuentdecker ist Erasmus keinenfalls; er ist eher der Schlusspunkt als der Anfang einer geschichtlichen Ent- wicklung. Das Ziel seiner Religiosität ist die „Philosophie Christi", wie sie einfach und klar von Christus und von seinen Aposteln gelehrt wird. Einen Unterschied zwischen Paulus und den Evangelien kennt Erasmus nicht ; nirgends in seinen Schriften und Briefen ist ein solcher angedeutet. Die Philosophie Christi ist der Lehrinhalt des ganzen alten und neuen Testaments; im neuen können höchstens der Hebräerbrief und die Apokalypse als minderwertig gelten®). Von der lex Christi, quae exstat apud Matthaeum ist im Enchiridion nur an einer einzigen Stelle ausführlich die Rede. Viel häufiger als die Worte der Bergpredigt sind die Anführungen paulinischer Stellen. Das Büchlein schliesst mit der Mahnung: „vor allem aber mache dich mit Paulus vertraut, den sollst du immer im Busen tragen, Tag und Nacht darin lesen, zuletzt ihn auswendig lernen." Auch die einfachen Sprüche der Paraclesis aus Matthäus und den Psalmen werden im Methodus mit paulinischen Begriffen erläutert. Somit ist es einseitig, eine „Religion der Bergpredigt" bei Erasmus herauslesen zu wollen. Erasmus schätzt den Paulus über alles, so wie er ihn versteht, als den Vorkämpfer gegen judäisches Zeremonien- — 26 — wesen. Sicherlich hat er ihn ja in seiner Tiefe nicht erfasst, obwohl er einigemal ergreifende Töne echt pauli- nischer Färbung finden kann. Aber ebensowenig als die paulinischen BegriflFe hat er die Worte Jesu trotz ihrer Einfachheit in ihrer eigentlichen Bedeutung erfasst. Jesus und Paulus werden von Erasmus verstanden, sofern sie nach seiner Meinung die „Philosophie" lehren. Unter „Philosophie" versteht er gleich den Humanisten vor ihm einen stoisch-platonisch-eklektischen Moralismus, wie er in Cicero gefunden werden konnte. Ausser Cicero waren Seneka und Plato die Bildner seiner Jugend ; Cato und Sokrates wurden von ihm zeitlebens als heilige Männer verehrt^). Piatos Schrift über den Staat und sein Phaedo und namentlich Ciceros Bücher von den Pflichten und dessen Tuskulanen atmen eigentlich schon christlichen Geist; ein Unterschied zwischen ihnen und der Philosophie Christi ist nicht zu finden. Das Neue, was Christus dazu gebracht hat, ist das reine und vorbildliche Leben, das er als christlicher „Doctor" gelebt, und die Gewissheit der jenseitigen Belohnung, die er durch seine Auferstehung versichert hat^^). Die einfachen Sprüche Jesu sind gerade in den Hauptschriften des Erasmus untermischt mit stoischen Anweisungen. Wenn in einem Atem mit der Peindesliebe die Welt- und Todesverachtung gefordert wird, wenn in der Paraclesis unmittelbar nacheinander gesagt ist, dass man nicht Böses mit Bösem vergelten dürfe, dass diejenigen zu beneiden seien, die Hab und Gut verlieren, und dass der Fromme den Tod herbei- sehnen müsse als den Eingang zur Unsterblichkeit, so ist das eine eigenartige „Religion der Bergpredigt", von der Erasmus selbst kurz darauf (V, 142 A) bezeugt, dass — 21 — sie mit den Lehren der Stoiker und des Sokrates voll- ständig übereinstimme. Im Enchiridion (V, 14 F) ist dieser christliche Stoizismus auf den richtigen Begriff gebracht, indem das Wesen der eqhten Philosophie im Einverständnis mit dem Sokrates des Phaedo dahin be- stimmt wird, dass sie meditatio mortis sei, dass sie die Seele von den sichtbaren körperlichen Dingen abwende zu den unsichtbaren vernünftigen. Von dieser platonisch- stoischen Ewigkeitsstimmung aus findet Erasmus als den Kern der Lehre Christi die Predigt von der die Welt ver- achtenden Gelassenheit, von der echten Milde und Toleranz, vom wahren Frieden und von der Liebe zu allen Menschen, die die gleiche edle Sehnsucht nach dem Höheren in sich tragen. Und von diesem freien und geläuterten Stand- punkt aus kämpft Erasmus, wie einst Paulus, den Kampf gegen die Buchstabenknechtschaft und gegen den gesetz- lichen Zeremoniendienst in seiner Kirche. Schon die Apologeten und die Väter der griechischen Kirche hatten die Lehren Piatos und der Stoa in den Schriften des neuen Testamens twiederzufinden geglaubt; mit Formeln, die den neuentdeckten Kirchenvätern entlehnt sind , beschreibt Erasmus jene „Philosophie Christi" ^^). Ein überaus glückliches und ungemein wirksames Bild, das sich übrigens schon bei Paulus und Seneka^-) findet, hat Erasmus angewandt, um die Philosophie Christi jedermann verständlich zu machen: die militia Christi. Für die Frau eines Offiziers, die ihren kirchlich gleich- gültigen Mann zu christlicher Lebensführung bekehren wollte, hat Erasmus das Enchiridion militis christiani ver- fasst, in welchem die neue humanistische Religiosität als Kriegsdienst beschrieben ist. Der christliche Streiter hat — 28 — mit den Waffen des Geistes wider alle Versuchungen des Fleisches und der sichtbaren Welt zu kämpfen, damit er als Belohnung im Jenseits die Krone des Lebens empfahe. Das Büchlein ist so recht eine humanistische Gelegen- heitsschrift, ohne jede Jogische Ordnung der Gedanken. Nachdem im (1. cap.) das Gebot der Wachsamkeit aus- geführt ist, folgt (cap. 2) eine Beschreibung der Waffen des christlichen Streiters, als da sind das Gebet und die heilige Schrift; die letztere muss mit Hilfe der Poeten und Philosophen geistlich und nicht in Buchstabenknecht- schaft erklärt werden. Denn das ist die Hauptsache bei aller Weisheit und Philosophie, dass man sich selbst er- kennt (cap. 3); und dabei erkennt man, dass es einen äusseren und einen inneren Menschen gibt (cap. 4). Die Ruhe des äusseren wird durch die verschiedensten Affekte gestört (cap. 5). Dann werden beide Menschen mit den Worten der Schrift näher beschrieben (in Kap. 6, welches dieselbe üeberschrift hat, wie cap. 4). Origenes und Paulus haben zwar eine Dreiteilung des Menschen, über die auch kurz berichtet werden soll (cap. 7). Dann werden (cap. 8) einige „Generalregeln des wahren Christen- tums" namhaft gemacht, die alle darauf ausgehen, das üebel der Unwissenheit zu bekämpfen , das die Quelle ist von der Schwachheit und Widerstandsunfähigkeit des Fleisches. Da werden nun 22 Regeln aufgezählt, dass man an der heil. Schrift nicht zweifle, dass man auf dem Weg des Heils entschiedener vorwärts schreite, dass man nach dem Beispiel des Aeneas alle irdischen Dinge ver- achte, dass man nur auf Christus sehe, bei dem allein ein ruhiges Gewissen möglich ist. Denn die vollkommene Frömmigkeit besteht entsprechend der höheren Ordnung — 29 — der Menschennatur im Hineinwachsen in die unsichtbaren Dinge, so wie es Christus uns vorgelebt hat. In diesem Zusammenhang werden uns die milden Tugenden Christi (Caritas, simplicitas, patientia, puritas) mit den Worten des Evangeliums beschrieben, nicht anders als einst Seneka das Ideal des Weisen geschildert hat. Mit der Liebe zum Ewigen wächst die Verachtung des Vergänglichen; je mehr man mit Christus sich kreuzigt, desto leichter werden die Versuchungen der Welt überwunden. Zum Schluss (cap. 9 — 13) werden Heilmittel gegen einzelne Laster empfohlen, gegen die Fleischeslust, gegen Hab- gier, gegen Ehrgeiz, gegen Ueberhebung, gegen Zorn und Rachsucht. Solche psychologisch-prophylaktischen Anweisungen spielen in der humanistischen Literatur eine grosse Rolle, bis sie bei Ignaz von Loyola den klassischen Höhepunkt erreichen. Aber wie oberflächlich und äusser- lich ist hier alles im Vergleich mit Ignaz! Das Schriftchen hat ungeheure Zustimmung erfah- ren. Es ist sofort in alle Sprachen der damaligen Kul- tur übersetzt worden ; Eoban Hesse und Peter Mosellan haben den Traktat auf ihrer Universität in Erfurt und Leipzig vor Hunderten von Zuhörern gleich einer bibli- schen Schrift erklärt ; Matthias Kretz hat auf der Dom- kanzel in Augsburg darüber Predigten gehalten. Das Büchlein, gelegentlich entstanden, brachte zum klassischen Ausdruck, was in den Empfindungen von Tausenden lebte, und worum die Welt der Gebildeten rang. Eras- mus selbst hat zu Colet gesagt, dass er mit dieser Schrift den groben Irrtum bekämpfen wolle, als bestehe die Religion in Zeremonien und mehr als jüdischen Obser- vanzen. Der Gedanke hat gezündet, der in endlosen — 30 — Variationen wiederholt ist, dass man die wahre Religion ausüben könne, ohne ein „Religiöser" zu sein. Mitten in der Welt kann man seine Seligkeit schaffen, ohne ein Mönch zu werden. „Das Mönchsleben ist nicht die Gottseligkeit, sondern eine Lebensart, die nach den ver- schiedenen Charakteren oder Temperamenten nützlich oder unnützlich ist; ich rate dir dazu so wenig, als ich dir davon abrate." Das war für keinen Leser etwas Neues, aber man begeisterte sich an der eindringlichen Art und an der Form, in der die Wahrheit gesagt war, die man gerne hörte. Neben der begeisterten Zustim- mung hat das Schriftchen auch sofort grossen Wider- spruch erfahren; Widerspruch nicht nur von seiten der alten Scholastik, deren Vertreter mit Recht die vielen Wiederholungen und den völligen Mangel an Ordnung tadelten: es bedürfe keiner grossen AVissenschaft, ein solch formloses Buch zu schreiben. Es gab auch Kreise, denen die persönliche Frömmigkeit so sehr am Herzen lag, wie dem Erasmus, und die sagten, die Kälte der Erasmischen Schrift sei unausstehlich; es sei besser im Thomas a Kempis zu lesen. Ignaz von Loyola verbot seinen Jüngern die Werke des Erasmus, weil seine An- dacht beim Lesen des Handbuchs erkaltet sei. Schon diese zeitgenössischen urteile sollten davon abhalten, die Schrift über Gebühr zu loben. Für den heutigen Ge- schmack gehört ein grosses Mass von aufopferndster Liebe dazu, wie sie nur dem Historiker möglich ist, um sich durch diesen Ciceronianischen Phrasensegen hindurchzu- arbeiten. Nicht nur in dieser Schrift, sondern auch sonst dringt Erasmus unermüdlich auf Einfachheit der Reli- — 31 — giosität und auf persönliche Ueberzeugung ; und genau, wie es die älteren Humanisten getan haben, betont er immer wieder, dass die wahre Religion und die echte Weisheit nicht Vorrecht eines bestimmten Standes, son- dern dass sie jedem gebildeten Laien möglich sei. Un- ermüdlich bekämpft er mit ätzender Schärfe und in überlegener Ironie die Narrheiten der „Sophisten" und „Theologaster" und die jüdischen Zeremonien des offi- ziellen Kirchentums. Eine Moral und Frömmigkeit, schlicht und einfach, wie sie von den Weisen und Pro- pheten der Vorzeit verkündigt und wie sie uns von Jesus vorgelebt worden ist, ist sein Wunsch. Dann würde aller Zank und Streit, alle Schlechtigkeit aufhören, dann würde das Utopien seines Freundes Morus hienieden eine^ Statt haben, wenn jedermann jener Christusfröm- migkeit nachzuleben bestrebt wäre. Diese Christusfröm- migkeit ist völlig identisch mit dem ethischen Ideal der mittelalterlich-katholischen Kirche; in ihr eine kirchen- freie Religiosität zu suchen und sie mit modernen Stim- mungen zu vergleichen, wäre verkehrt. Erasmus gehört zur via antiqua. Den Ansatz zu einer modern anti- supranaturalistischen Frömmigkeit für ihn in Anspruch zu nehmen, ist zum mindesten noch einseitiger, wie die Erklärung, dass die meditatio vitae futurae die Trieb- feder alles Handelns für ihn sei. Denn wie im älteren Humanismus^ so gehört auch bei ihm beides zusammen: Eine ihrer Kraft bewusste Diesseitigkeitsmoral, die mit dualistischer, ja man kann sagen asketischer Strenge ein jenseitiges Ziel sich zu erringen hoflft, und die — ich denke an die paulinisch klingenden Stellen^*) — am Schluss ihrer Leistung in echt katholischer Weise alle — 32 - Belohnung des Verdienstes der göttlichen Gnade anheim- gibt. Erasmus hat den ethischen Dualismus, der durch ein himmlisches, von Christus gelehrtes und dargebote- nes Ziel motiviert erscheint, mit Wärme und entschie- denem Ernst gepredigt. Die weitherzige Offenheit, mit der er alle Gleichstrebenden aus allen Nationen und Religionen zum Zeugnis für die Wahrheit seines christ- lichen Standpunkts herbeiruft, findet sich in derselben Weise bei den Humanisten vor ihm und steht in keinem prinzipiellen Gegensatz zu der Praxis der mittelalter- lichen Kirche: solange man nur Aristoteles und Vergil kannte, waren sie die Stützen der christlichen Religion, jetzt gelten Cicero, Seneka und Plato für brauchbarer. Erasmus ist somit kein Neuentdecker auf dem Ge- biet der Religion. Sein religiös-moralischer Dualismus ist gut katholisch. Mit seiner Kritik an dem kirchlichen Sakralwesen hat er zwar, ebenso wie seine Vorgänger, der Reformation die Wege geebnet ; und er war zugleich damit in Gefahr, das Beste zu verlieren, was seine Kir- che ihren Mitgliedern zu geben hatte. Denn die „Zere- monien", die er an der kirchlichen Sakramentsanstalt bekämpfte, waren eben nicht nur Zeremonien, sondern sie bedeuteten ein religiöses Gut, in welchem das jen- seitige Ziel als Motiv für das diesseitige Handeln wirk- sam wurde. Wenn nun Erasmus dieses religiöse Motiv ausschaltete, war er in Gefahr, einem flachen eudämo- nistischen Moralismus zu verfallen ^*). Aber er hat sich, wie ich glaube, aus inneren religiösen Gründen immer wieder eng an die Kirche Christi angeschlossen, an die Darbieterin und Garantin des himmlischen Heils. Und er hat, wie schon gesagt ist, seine religiöse Heilserfah- — 33 — rung mit Vorliebe in Formeln gekleidet, die in der Kir- che vor Augustin geprägt worden sind. Wenn er dar- um von Wemle^^) in einen prinzipiellen Gegensatz ge- stellt wird zu Augustin, wenn sein „ethischer Dualismus** als ein gewisser Fortschritt begrüsst wird gegenüber dem „kirchlichen Dualismus", wie er durch die Linie Paulus- Augustin-Luther gekennzeichnet sei, so ist das insofern unrichtig, als der „ ethische " stoisch-platonisch bestimmte Dualismus der Apologeten und griechischen Väter, dem auch Erasmus folgt, in konsequenter Entwicklung und Vertiefung weitergeführt hat zum „kirchlichen" Dualis- mus und Supranaturalismus Augustins. Der mit der Logosidee verbundene „ethische" Dualismus der Apolo- geten und griechischen Väter ist eine minder konse- quente Durchführung desselben Gedankens der absoluten Schätzung der Erlösertätigkeit Christi, welchen Augustin mit seiner Trennung der gnadenreichen Kirche vom sündigen Heidentum aufs tiefste zum Ausdruck gebracht hat. Jede ähnliche dualistische Ethik und Religions- auflfassung und so auch die des Erasmus wird stets ihren Massstab behalten an dieser konsequentesten und am tiefsten durchgeführten Ausgestaltung. Nur dann ist eine Ueberwindung des Augustinismus möglich, wenn dessen religiöse Tiefe verbunden wird mit der Weit- herzigkeit der apologetischen Logosidee. Eine befriedi- gende Formel hiefür ist bis heute nicht gefunden. Des Erasmus Religion ist jedenfalls kein Fortschritt nach dieser Richtung, sondern sie ist ein Zurücksinken auf den minder konsequenten voraugustinischen Standpunkt; ein Zurücksinken, wie es in Verbindung mit dem philo- sophischen Aufklärungsbedürfnis zu allen Perioden der Hermelink. Humanismus. 3 — 84 — Kirchengeschichte , auch im Mittelalter, stattgefunden hat. Den Anfang zum Fortschritt hat nicht Erasmus, sondern Luther gebracht, indem er das Einzelgewissen frei machte vom Bann der Kirche Augustins. Wenn Luther dem Erasmus in den späteren Zeiten des Kampfes auch oftmals Unrecht getan hat, so hatte er doch von Anfang an darin recht, dass er bei dem berühmten Humanisten diejenige Heilslehre fand und bekämpfte, die das Hindernis einer inneren religiösen Freiheit und die darum auch das Hindernis eines wahren religiösen Fort- schritts war. Bei der ersten brieflichen Erwähnung des Erasmus im Jahre 1516 schreibt Luther: „Nicht wie Aristoteles meint, werden wir gerecht, indem wir gerecht handeln, sondern dadurch dass wir gerecht werden, sind wir im stände, gerecht zu handeln. Zuvor muss die Person umgewandelt sein, dann erst folgen die Werke." Er hat den entscheidenden Unterschied sofort aufs sicher- ste getrofifen: bei Erasmus kamen zuerst die eigenen Werke und dann erst die Hoffnung auf Christi Verdienst. Er hat mit seinem Schwanken zwischen Diesseitigkeits- stimmung und Jenseitshoffnung den Boden des mittel- alterlichen Katholizismus nicht verlassen ^^). Nachdem nun in ausgiebiger Weise über das Ziel der Erasmischen Frömmigkeit gehandelt ist, gilt es noch kurz zu zeigen, dass die Mittel zur Erreichung jenes Ziels wesentlich dieselben sind, wie die im vorerasmischen Humanismus angegebenen. Ja man kann sagen, dass die Wege zu jenem Ziel wieder komplizierter zu werden beginnen. Der neuen Ausgabe des Neuen Testaments von 1516 sind zwei Schriftchen vorausgeschickt: Die Ermahnung — 35 — an den Leser, Paraclesis ad christianae philosophiae Stu- dium und die Methode, Methodus verae theologiae. In dem ersten, in der „Ermahnung**, fordert allerdings Erasmus jedermann zum Studium der heiligen Schrift auf. „Der ist nicht nur kein Theologe, sondern kein Christ, der Christi Schrift nicht gelesen hat. Port mit dem törichten Vorurteil, die Bibel gehöre den Laien nicht und dürfe nicht in die Volkssprachen übersetzt werden. So gut als das Sonnenlicht ist Christi Lehre für alle da. Möchte doch das N. T. nicht bloss in die Sprache der Schotten und Iren, sondern der Türken und Sarazenen übersetzt werden! Alle Frauen sollten das Evangelium und die Briefe des Paulus lesen. Der Landmann hinter dem Pflug, der Weber am Webstuhl, der Wanderer auf der Reise sollten singen und reden vom Evangelium!" Dicht daneben in der Methode wer- den als Bedingungen des Bibelverständnisses aufgezählt : Kenntnis der drei Sprachen Lateinisch, Griechisch und Hebräisch, der Natur- und Geschichtskunde, der Gram- matik und Rhetorik ; ferner werden genaue Unterscheidung der näheren Verhältnisse der Worte Christi und der Apostel, es werden Vergleichung der ähnlichen Stellen, sowie Kenntnis und Berücksichtigung der Allegorien und der Eigenart der orientalischen Bildersprache gefordert. In den weiteren stets veränderten Auflagen der Methode hat Erasmus immer noch mehr Gelehrsamkeit verlangt. Zum Verständnis der Bibel sind auch noch die alten Kommentare des Origenes, Basilius, Cyrill, Chrysostomus, Hieronymus, Ambrosius und Augustin notwendig. Die einfache Nebeneinanderstellung dieser beiden Abschnitte aus Paraclesis und Methodus beweist die journalistische 3* — 36 — Mache und bewahrt vor Ueberschätzung dieser „Refor- mationsschriften " • Paraclesis und Methodus gehen ebenso wie das Enchiridion darauf aus, zu zeigen, dass es keinen bevor- rechteten Stand in der Frömmigkeit gibt. Jeder Laie, der sich mit Hilfe der heiligen Schrift dazu heranbildet, kann „Philosoph Christi" werden; und von jedem, der den Namen Christi trägt, kann man verlangen, dass er es tut, so gut man von einem Platoniker verlangen kann, dass er seines Meisters Werke liest. Doch das Studium der „Philosophie Christi" ist kein so einfach Ding. Es gehört, wie der Methodus zeigt, eine eindringliche Kennt- nis der christlichen Urkunden dazu, die durch Vergleich mit den vorchristlichen Quellenschriften gefördert wird, bis man im stände ist, die Philosophie jenes himmlischen Doctors nachzuleben, der auch hier wieder in Anlehnung an die Evangelien und an Paulus nach stoischem Muster geschildert ist^^). Das Herbeiziehen des ganzen gram- matikalischen und kirchengeschichtlichen Apparats ist der sicherste Beweis dafür, dass die erasmische Laien- frömmigkeit keine andere war, als die auf bestimmtem geschichtlichem Boden erwachsene religiöse Laienkultur des deutschen vorerasmischen Humanismus. Sie war trotz der gelegentlichen gegenteiligen Versicherungen nur möglich für die Aristokraten des Geistes und nicht für den schlichten Mann im Volk. Man übertreibt arg, wenn man die phrasenreiche Laienpredigt der Paraclesis so preist, als ob „Luther selbst herrlicher über die Be- deutung der Bibel nicht geschrieben" haben soll. Wo hat denn die herrliche Laienpredigt tatsächlich gewirkt? Doch nur in den verhältnismässig beschränkten Kreisen, — 37 — die an der ciceronianischen Zierlichkeit des erasmischen Latein sich ergötzten. Kein Erasmusschüler hat, etwa angeregt durch die Paraclesis, den Entschluss gefasst, die Bibel ins Deutsche zu übersetzen. Und die Pläne dieser Leute waren sonst recht weittragend! So hat denn Erasmus tatsächlich nicht für jeden Laien im Volk geschrieben ; sondern was er predigte, das war die Fröm- migkeit des aufgeklärten Bürgertums und der untheolo- gischen Literatenzünft. Mit den neuen Entdeckungen auf dem Gebiet des klassischen Altertums und der alten Kirchengeschichte hat Erasmus selbst die neue religiöse Bildung immer komplizierter gemacht. Ein Wilibald Pirckheimer musste sich anstrengen, seinen gelehrten Schwestern nicht nur den Xenophon und Plato, sondern auch den Gregor von Nazianz und Basilius ins Lateini- sche zu übersetzen, um sie auf der Höhe der religiösen Büdung zu erhalten. Es entstand die neue humanistische Theologie an Stelle der alten scholastischen. Das war des Erasmus Lebenswerk. In der Geschichte der Frömmigkeit steht er an einem Endpunkt, in der Geschichte der Gelehr- samkeit bedeutet er einen Anfang. Die rastlos gelehrte Arbeit, mit der Erasmus die alten Reformforderungen nach religiöser Selbständigkeit der Laien und nach Ver- einfachung des kirchlich-scholastischen Apparats begrün- dete und stützte, die konnte von keiner kirchlichen Partei in Zukunft mehr ungenützt gelassen werden. Die neu entstehende humanistische Theologie hat all- mählich die Universitäten umgestaltet; sowohl die alte scholastische, als auch die neue lutherische Theologie haben mit ihr einen Bund eingegangen. Also die Mittel, — 38 — die zur Erreichung des Ziels der humaDistischen Fröm- migkeit dienen sollten, die sind immer reicher ausgestaltet und in ihrer Notwendigkeit allgemein anerkannt worden. Das Ziel selbst galt in den letzten Lebensjahren des Erasmus nur noch wenigen als erstrebenswert, dem Mei- ster und einer kleinen Schar von treuen Schülern. Auch sie haben alle erkennen und zugeben müssen, dass ihre Bestrebungen auf religiösem Gebiet abgelöst und über- boten wurden von anderen viel weiter tragenden Zielen der Frömmigkeit. IV. Für die Ausgänge der humanistischen Reformbe- wegung auf religiösem Gebiet sind zwei geschichtliche Tatsachen von Bedeutung: der Streit ReuchUns gegen Hochstraten und der Abfall Luthers von Rom. Durch den Reuchlinschen Streit mit den Kölnern erhielt der Humanismus, wenn man ihn als religiöse Reformbewegung betrachtet, den ersten Todesstoss. Dies Urteil mag überraschend erscheinen. Der Streit, der mit einer formellen Niederlage Reuchlins endigte, gilt in allen seinen Phasen als ein tatsächlicher Sieg der hu- manistischen Sache. Das war er auch, insofern hier die humanistische Wissenschaft siegte; sie liess sich, namentlich auch in ihrer Bedeutung für die Theologie nicht mehr vertilgen und wegdekretieren. Aber im übrigen darf man sich durch das Siegesgeschrei der Gefolgsleute des grossen Hebraisten und durch ihre lite- rarische Ueberlegenheit nicht irreführen lassen. Die Epistolae virorum obscurorum haben viel Staub auf- gewirbelt, aber sie haben auch ihrer eigenen Sache sehr — 39 — geschadet. Das Endresultat des Streits ist, dass die ernsten reformfreudigen Kreise der alten via antiqua von dem zur Literatenzunft sich entwickelnden Humanis- mus sich abzubröckeln beginnen. Jetzt beginnt erst der eigentliche Kampf an den Universitäten zwischen poetae und theologi. Von jetzt ab nimmt das Misstrauen gegen den kirchenfreien Humanismus in weiten Kreisen über- hand, und es wächst das Vertrauen zu den bewährten Einrichtungen der Kirche, wie es sich in dem Worte ausdrückte : „ Die Poeten reden gegen den alten Gebrauch der Kirche griechisch, aber sie denken dabei gottlos." Die angegriffenen Theologen in Köln, Ortuin Gratius und Hochstraten, Kolewinck und Arnold von Tangern, die waren nicht die Obskuranten, als welche sie von den Gegnern dargestellt wurden. Es steht fest, dass sie alle humanistisch gebildet waren und dass sie ein bestimmtes ßeformprogramm verfochten haben. Ihr Programm, die konziliare Erneuerung der Kirche auf biblischer und patristischer Grundlage, gelangte schliesslich in Trient zum Sieg. Die frühere Kritik dieser Kreise gegen die kirchlichen Einrichtungen verschwindet immer mehr, je mehr die positiven Forderungen der althumanistischen Reformbewegung seit Adrian VI. zu einer gemeinsamen Angelegenheit der Gesamtkirche geworden sind. Die Erfolge Luthers dürften veranlasst haben, dass das Erasmische Reformprogramm eine Zeit lang Aussicht auf Verwirklichung erhielt. In der allgemeinen Unsicher- heit der kirchlichen Zustände bei Beginn der lutherischen Revolution hat der „milde Erasmismus" in einzelnen Diö- zesen Süddeutschlands (Augsburg, Konstanz, Basel) und am Rhein eine gewisse Rolle gespielt. Von dauernder — 40 — Lebensfähigkeit konnte aber dieser bischöflich approbierte Erasmismus nicht sein, da die Revolution, die ihm das Leben gab, die Gegensätze zu scharf zuspitzte, als dass ein unentschiedener Mittelstandpunkt auf die Dauer sich hätte halten lassen. Seit den Erfolgen Luthers konsolidierten sich gegeneinander die beiden neuen Religionsparteien, von denen jede in ihrer Weise die alte Laienforderung nach selbständiger Erfassung und Verinnerlichung der Religiosität auf viel breiterer Grundlage, als es jemals einem Humanisten in den Sinn kam, zu erfüllen bestrebt war: auf der einen Seite Luther und alle die einzelnen mit ihm, deren Seele durch die Rechtfertigung allein aus dem Glauben froh und frei geworden war, auf der anderen Seite die im Gegensatz zum Luthertum erneu- erte Barche, die in all ihrer Schönheit und Grösse die Seelen der Massen von Hoch und Niedrig mit neuer Andacht und innerer Glut zu füllen wusste. Es konnte kein Zweifel sein, zu welcher der beiden Parteien in diesem neuerlichen Krieg das aus dem Reuch- linschen Kampf übrig gebliebene Häuflein der humani- stischen religiösen Reformfreunde sich hinwenden würde. Ja zu Anfang, solange die Lutherische Sache wie eine Erneuerung des Reuchlinschen Handels aussah, da konnte man schwankend sein. Da haben die Hunianisten dem Reformator ihre zur Kritik an den kirchlichen Miss- ständen geschliffenen Waffen geliehen. Aber von der Stunde an, da von Luther auf Grund religiöser Erfah- rung und innerer Freiheit der endgültige Bruch mit der mittelalterlichen Kirche vollzogen war, von da an konnten ihm nur sehr wenige Humanisten nachfolgen. Bei Zwingli, Butzer undMelanchton ist derUebergang vom Humanisten — 41 — zum Reformator nicht unmerklich und in kausaler Folge vor sich gegangen, sondern es steht dazwischen ein neuer Faktor, ein Grenzpunkt, der allerdings für die spätere Erinnerung sich verschieben konnte: das Nacherleben des lutherischen Heilserlebnisses, wie es namentlich im Galaterkommentar von 1519 wirksam beschrieben war. Die grosse Masse der Humanisten war um ihrer vulgär- katholischen Heilsauffassung willen jenes Nacherlebens nicht fähig und hat darum, soweit nicht äussere Gegen- gründe massgebend waren, die Gegenreformation ver- stärkt. Dies gilt vorzugsweise von der jüngeren Humanisten- generation. Die Schüler des Erasmus in Schlettstadt und Freiburg, in Tübingen, Ingolstadt und Wien, in Köln und in Leipzig haben den Frieden mit der Kirche ge- macht; sie haben, wie man das in der Geschichte der einzelnen Humanistenschulen verfolgen kann, fast ohne Ausnahme die Kirchenspaltung und das Luthertum be- kämpft. Innerhalb ihrer Kirche haben sie mit ihrer Gelehrsamkeit für eine persönlich-moralistische, der Zeit angemessene Religiosität auf biblischer und patristischer Grundlage gewirkt und so bildeten sie ein besonderes Ferment bei der Erneuerung der katholischen Fröm- migkeit. Für die Zeitgenossen des Erasmus und namentlich für diejenigen, die in vorderster Linie beim Reuchlinschen Streit gegen die Kölner fochten, war der Kampf gegen die enger an die Kirche sich anschliessenden Reform- kreise Anlass zur Durchführung von mehr libertinistischen Grundsätzen. Aber diese libertinistischen Grundsätze standen in seltsamem Gegensatz zu dem ethisch-rigorosen — 42 — Ton, mit dem man die Gegner aburteilte, und sie waren zudem innerhalb der eigenen Voraussetzungen nicht durch- führbar. Wenn ein Eoban Hesse die Trunksucht der Priester bekämpfte und wenn ein Hütten gegen deren Unzucht wütete, so brauchte das nicht allzu schwer ge- nommen zu werden von der Kirche, die ihrer Macht über solche Kritiker sicher sein konnte. Auch von den Erfurter Humanisten haben die meisten trotz aller freien Ansichten sich wieder reumütig vor der Kirche gebeugt. Am bezeichnendsten ist das Beispiel des Konrad Muth, des aristokratischen Philosophen der beata tranquillitas, dem am Tage vor seinem Tode der Seufzer von den Lippen kam: „Vieles weiss der Bauer, was der Philo- soph nicht weiss. Christus ist aber für uns gestorben. Er ist unser Leben, das glaube ich gewiss.** Auch Mu- tian und die Erfurter Humanisten gehören zu den Un- zähligen, die innerhalb der Kirche liberal gelebt haben und die dann katholisch gestorben sind. Erasmus selbst hat sich nicht in den Reuchlinschen Streit gemischt. Mit einer über den Parteien stehen wollenden Diplomatie, wie sie reinen Gelehrtennaturen eigen zu sein pflegt, suchte er während des Kölner Streits die beiden Parteien und dazu noch später das von der Kirche sich lostrennende Luthertum für seine Reform- ideen dienstbar zu machen. Er glaubte auf die oben geschilderten christlich-philosophischen Bestrebungen des älteren deutschen Humanismus die Gegensätze vereinigen und so eine Religion des Friedens herbeiführen zu können, eine Religion der Mildherzigkeit und Liebe, die zugleich dem Emporblühen der Wissenschaften Vorschub leistet. Seit Erscheinen der Schrift Luthers von der babylonischen ■~i — 43 — Gefangenschaft der Barche ward ihm das tatsächlich unmöglich gemacht. Erasmus hat sicher sofort die Un- möglichkeit empfunden, aher er hat mit Resignation am früheren Ideal, an der christlichen „ütopia" seiner Jugend festgehalten. In immer neuen Gutachten und Lamen- tationen hat er als einzige Lösung zur Ueberwindung der religiösen Wirren die entscheidenden Punkte heraus- gehoben: das Ziel einer vereinfachten Christusreligion und die hiezu führenden Mittel der sprachlich-sachlichen und biblisch-patristischen Unterweisung. Durch richtigen Unterricht und eigene Besserung kann dem Elend der Kirchenspaltung gesteuert werden. Nur ein Beispiel aus dem Brief von 1526 an Johann Heigerlin, genannt Faber, den späteren Bischof von Wien: „Die Streitsüchtigen müssen aus den Schulen entfernt und dafür Männer ein- gesetzt werden, welche die anerkannten und notwendigen Wissenschaften lehren. Die Prediger der verworfenen Partei sind zu entfernen und durch rechtschaffene Männer zu ersetzen, welche von streitigen dogmatischen Sachen gar nichts berühren, sondern nur das lehren, was zur Frömmigkeit und zu den guten Sitten beiträgt: Die wissen- schaftlichen Lehranstalten und die Professuren der alten Sprachen sind nur völlig Parteilosen anzuvertrauen, die das für junge Leute Nützliche vortragen. Unterdessen wollen wir selbst einiges verbessern und das übrige einem allgemeinen Konzil vorbehalten." Dieser Brief ist schon nach dem berühmten Streit mit Luther geschrieben worden, in dem Erasmus die scharfe Grenze zwischen der huma- nistischen Reformation und der lutherischen Revolution deutlich hervorgehoben hat. Vereinsamt mit seinen alten Idealen ist er im Schoss seiner Kirche gestorben. Die — 44 — zweideutige Haltung in vielen Dingen, die oft als Cha- rakterlosigkeit verurteilt worden ist, darf nicht zu hart gerichtet werden. Sie ist Begleiterscheinung sowohl seiner diplomatischen Vermittlungsnatur, als auch seiner jour- nalistischen Impulsivität. Die einzige unmittelbare Wirkung der auf mittel- alterlichem Boden entstandenen humanistischen Reform- bewegung ist also die Stärkung der Gegenreformation. Jakob Spiegel und Beatus Rhenanus, Johann Altenstaig und Matthias Kretz, Johann Eck und Alexander Brassi- kan, Georg Wicel und Crotus Rubeanus, die Bischöfe Johann Fabri und Christoph von Stadion und viele andere erbringen den Beweis. Die Theologie des Jesuitenordens und des Tridentinums ist mit das Werk des Humanismus. Namentlich der Jesuitenorden hat mit seiner hochstehenden Kultur und persönlichen Religiosität die versprengten Reste der humanistischen Geistesaristokratie wieder ge- sammelt, die bei der mehr demokratischen und orthodoxen Entwicklung des Luthertums nicht ihre Befriedigung ge- funden hatten. Eine mittelbare sekundäre Wirkung hat der Humanismus, wie schon gesagt ist, auf die prote- stantische Wissenschaft ausgeübt. Bezeichnend ist, dass die Lehrer derselben, die Humanistenschüler, die mit äusseren Mitteln an protestantischen Hochschulen fest- gehalten wurden, sich nie recht wohl dabei fühlten. Ein Eoban Hesse und ein Micyllus, Spalatin sowohl wie Camerarius, ja selbst Melanchton haben jede Ausgleichs- verhandlung mit Freuden begrüsst, und sie haben zeit- lebens sich die Erasmische tranquillitas zur Ausübung ihrer Studien herbeigesehnt. Zweifellos hat endlich auch der Humanismus eine sekundäre Wirkung auf die Dis- — 45 — senterbewegungen der Täufer, Sozinianer und Arminianer ausgeübt. Doch ist der Einfluss des Erasmus auf diese schon weit überschätzt worden. Ihre Wurzeln sind jeden- falls noch mehr in den mystischen und Sozialrevolutionären Gedankenkreisen des ausgehenden Mittelalters zu suchen, und die letzte entscheidende Anregung auch für Faustus Sozzini und Michael Servet, für Sebastian Franck und Bernhard Rothmann ging von der befreienden Tat in Wittenberg aus. Die humanistische Religionsreform, auch die des Erasmus, kann bei allseitiger Deutung der Quellen nur erfasst werden als eine der katholischen Aufklärungs- bewegungen, wie sie sich zum Ausgleich des hochgespannten Dualismus in der Kirchen- und Heilsauffassung beim Beginn neuer Kulturepochen als geschichtliche Notwen- digkeit stets zu wiederholen pflegen. Am wetterharten Baum der Kirche pflegt in bestimmten Zeitabständen immer wieder eine schöne Blume aufzubrechen und lang- sam abzublühen. Immer wieder werden in der katholischen Kirche die Laien „Religion" haben wollen, ohne dass sie mit dem heiligen Oel gesalbt, die Welt verlassen müssen ; immer wieder werden sie mit allen in ihrer Zeit dar- gebotenen Kulturelementen ihre Forderung zu begründen suchen, und sie werden für Vereinfachung des kirchlichen Apparats und für Versöhnung mit der wahren Mensch- lichkeit das Wort reden; und immer wieder werden sie kläglich scheitern, mögen sie nun Franziskus oder Eras- mus oder sonstwie heissen, weil ihr Verständnis der „Religion" innerhalb der dualistischen Voraussetzung ge- bunden bleibt, die in konsequenter Entwicklung die Trennung der Kirche von der Welt und innerhalb der — 46 — Christenheit die Scheidung des religiösen vom weltlichen Stande notwendig gemacht hat. Der Humanismus ist der Reformkatholizismus des 15. und 16. Jahrhunderts. Die religiösen Keformbestrebungen des deutschen Humanismus konnten darum niemals die neue Frömmig- keit einer neuen Zeit einleiten. Sie gehören in die Ge- schichte des Mittelalters. Die neue Zeit beginnt mit der aus den innerlichsten Gründen geforderten und durch- geführten Befreiung des Individuums von jeglicher Ge- bundenheit an eine äussere Autorität. Luther, der für dieser Freiheit Bahn die erste Gasse gebrochen hat, der hat das richtige Wort gesprochen: Erasmus und die Humanisten mit ihm seien nach Moab gelangt, wie weiland Moses. Ins Land der Verheissung sind sie nicht ge- drungen. — 47 — Anmerkungen. 1) Janssen- Pastor, Gesch. des deutschen Volks II " u. i8 «7 f^. W. Maurenbrecher, Gesch. der kath. Reformation I, 119 ff.; R. B. Drummond, Erasmus, his life and character I, II 1873 ; P. Wernle, Die Renaissance des Christentums im 16. Jahrhundert (Sammlung gemeinverst. Vorträge und Schriften aus dem Gebiet der Theologie und Religionsgeschichte 40) 1904; E. Tröltsch in , Die Kultur der Gegenwart" herausg. von P. Hinneberg I, 4 (1906) Die christliche Religion S. 271 ff. ; Mart. Schulze, Calvins Jenseitschristentum in seinem Verhältnis zu den religiösen Schriften des Erasmus 1902; K. Müller, Kirchengeschiche II, 1 (1902) S. 205 ff. und in „Die Kultur der Gegenwart" a. a. 0. S. 215 ; W. Köhler in Theol. Literatur- zeitung 1903 Sp. 338 und 1905 Sp. 470 und Protest. Monatshefte 1906 S. 254. 2) Die Entstehungsgeschichte und die Bedeutung des Namens ist noch keineswegs aufgeklärt. Ist der Name „Humanismus" zu- erst in Italien oder diesseits der Alpen verwendet worden? In einer Reihe von Stellen stehen die humaniora deutlich im Gegen- satz zu der divina scientia. 3) Vgl. Hermelink, Die theolog. Fakultät in Tübingen S. 138 N. 5 und 6; dazu Rud. Staehelin, Huldreich Zwingli I, 49 f. In Corp. Ref. X, 192 steht eine hiehergehörige Notiz über Melanch- ton: De monacho quodam concionatore eins loci (Tübingen) narrare solebat, quod pro concione, omissa evangeliorum doctrina, Ethica Aristotelis explicasset non parvo audientium studio, qui cupidius Aristotelica cognovissent, quam fabulas aniles, quibus im- plere templa illius barbaricae superstitionis temporibus usitatum fuit, Christi mentione prorsus neglecta; et haec recitans saepe de- plorabat coecitatem et infelicitatem illius saeculi. Auch hieraus geht hervor, dass die Predigt über Aristoteles, so beklagenswert sie war, doch als Fortschritt erschien gegenüber den aniles fabulae der „Sophisten". Die landläufige Meinung, dass der Humanismus den Aristotelismus bekämpft habe, ist völlig verkehrt. Auch Agri- kola und Celtis, Reuchlin und Erasmus schätzen den Aristoteles — 48 — sehr hoch und stellen ihn neben den neuentdeckten Plato, der un- verstanden bleibt. Bekämpft werden nur die scholastischen Kom- mentare des Aristoteles und die ^ Sophismen", die sich daran an- knüpfen. 4) Ueber ihn vgl. Gas. Morawski, Histoire de Tuniversit^ de Cracovie, trad. de P. Rougier II, 1903, S. 258 ff.; über die Be- deutung Krakaus für den Fortschritt des Humanismus an den deutschen Universitäten vgl. G. Bauch, Deutsche Scholaren in Krakau 1901. 5) Agricola de formando studio ad Barbirianum, vgl. P. Wernle a. a. 0. Note 50. Der Gebrauch des Wortes „Philosophie" im Sinne der religiös-moralischen Lebensführung ist bei allen Humanisten üblich; philosophi und poetae (oder oratores) wollen die Humanisten sein und sie bezeichnen mit dem einen den Inhalt, mit dem an- deren die Form ihrer Darbietungen. Agrikola und Reuchlin mit dem schweren Gerüst der kabbalistischen Philosophie, Lefevre und Erasmus, welcher den Namen eines Theologen mit Emphase ab- lehnt (Op. ed. Le Clerc IX, 1101 D), Mutian und Celtis, welcher bei jeder Gelegenheit von der vera philosophia schwärmt, nennen sich philosophi im Gegensatz zur zünftigen Theologie. Auch die Alten, Socrates, Plato, Aristoteles und Cicero sind oratores der Form nach, philosophi, sofern die doctrina recte beateque vivendi den Inhalt ihrer Schriften ausmacht (vgl. Erasmus Op. III, 1880 DE). 6) Vgl. z. B. den Kommentar zur aristotelischen Ethik von 1497 (Hain 1761) d IUI, 1. und den Kommentar zu Dionysius Areopagita von 1498 (Hain 6233) fol. 82 v. Vgl. die Zusammenstellung K. H. Grafs in Zeitschr. f. die bist. Theologie 1852 S. 53 aus den späteren Koramentaren zum N.T. Von allen den oben genannten sind solch prophetische Worte überliefert, dass eine Zeit der! Erneuerung der Theologie und Kirche kommen werde. Für die Tübinger Scriptoris und Sumraenhart vgl. meine Geschichte d. theol. Fakultät in Tübingen S. 164 und 156. Der Ausdruck „ Renaissance des Christentums", der von 1519 ab im Baseler Humanistenkreise häufig ist (P. Wernle a. a. 0. S. 38 N. 1 und 2) stammt sicherlich aus Italien, wo die Vor- stellung des rinascimento auf allen Gebieten herrschend war. Bei Erasmus selbst ist der Ausdruck restitutio, nicht aber renasci in bezug auf das Christentum nachgewiesen; vgl. jedoch auch ,ut revigescat christiana pietas" 1529 Op. V, 1226 E. — 49 — 7) Namentlich in dem Brief an Jodokus Jonas 10. Mai 1521 Op. III, 641 AB. Vgl. auch schon im Enchiridion V, 37 BC: Quid igitur faciet Ohristianus? negliget ecclesiae mandata? con- temnethonestas maiorum traditiones ? damnabit pias consuetudines ? Immo si infirmus est, servabit ut necessai'ias ; sin firmus et per- fectuS) tanto magis obseryabit, ne sua scientia fratrem offendat infirmum, et occidat eum, pro quo mortuus est Christus. Haec opportet non omittere, sed illa necesse est facere. Non damnan- tur opera corporalia, sed praeferuntur invisibilia. 8) Vgl. Op. V, 92 CD : Apud me certe plus habet ponderis Esaias, quam Judith aut Hester ; plus evangelium Matthaei, quam apocalypsis inscripta Joannis; plus epistolae Pauli ad Romanos et Corinthios, quam epistola scripta ad Hebreos. Von einer , Dif- ferenz zwischen Jesus und Paulus" (Tröltsch a. a. 0. S. 257) konnte ich weder hier noch an irgend einem anderen Ort eine An- deutung finden. Auch die Sätze Wernles über die Kritik des Eras- mus am Kanon («Etwas Grosses und Neues war ganz zweifellos geschehen, der Scholastik der Krieg und Untergang erklärt, das Christentum zurückgeführt über mehr als 1000 Jahre , bis in die Zeit der ersten christlichen Ausleger des N. Ts.,ja bis zur Kanons- bildung selber. Denn selbst hier hat Erasmus das Erbe der Väter ausgegraben, den Unterschied zwischen allgemein Anerkannten und dem Widerspruch ausgesetzten biblischen Büchern erneuert und deshalb Matthäus hoch über d^e Apokalypse, Römer- und Ko- rintherbrief hoch über Hebräer gestellt" a. a. 0. S. 26) sind in- sofern übertrieben, als auch hierin 'Erasmus mit seinen Vorgängern und Zeitgenossen verglichen werden muss. Er selbst beruft sich bei seiner yerklausulierten und der kirchlichen Genehmigung unterstellten Kritik auf Nicolaus von Lyra, »bei dem der Zweifel am Hebräerbrief mit aller Stärke hervortritt" (K. v. Credner, Gesch. des neutestamentlichen Kanons herausg. von G. Volkmar 1860 S. 317). An Freimütigkeit wird Erasmus von seinem Zeitgenossen Cajetan übertroffen, der dazu mit aller Schärfe nur den sensus literalis für zulässig erklärt, während Erasmus mit Berufung auf Paulus, die alte Kirche und auf die platonischen Philosophen die allegorische Exegese fordert (vgl. z. B. Op. V, 29 f). Der in Frage stehende Gegenstand ist von Joh. Leipoldt ausführlich be- handelt in seinem Aufsatz über „die Kritik des Reformationszeit- alters am neutestamentlichen Kanon" in Deutsch-evangelische Blätter ][906 S. 773 ff. Zu des Erasmus Meinung über das Ver- Hermelink, Humanismus. ^ — 50 — hältnis des alten und neuen Testaments vgl. die Anmerkung bei M. Schulze a. a. 0. S. 51—53. 9) Ein unmittelbares Zeugnis dafür, dass Erasmus und Golet in ihrer Jugend christliche Stoiker sein wollten, scheint mir die Briefstelle zu sein, in der Erasmus dem letzteren eine Abweichung von Seneka vorwirft (Op. Ill, 132 B). Dass Cicero nicht nur sti- listisch, sondern auch inhaltlich den jungen Erasmus beeinflusst hat, ist an sich anzunehmen: „Ich kann die Schriften des Cicero nicht lesen, ohne dass ich zuweilen das Buch abküsse und jenes heilige Gemüt verehre, das vom göttlichen Geist angehaucht ist" (Op. I, 682 A. Ebenda 683 E ähnliche Urteile über Cato und So- crates, Vergil und Horaz). Mihi puero minus arridebat Cicero quam Seneca ; iamque natus eram annos viginti priusquam ferrem diutinam eins lectionem, cum ceteri paene omnes piacerent. An aetatis progressu profecerim, nescio; certe nunquam mihi magis placuit Cicero, tum quum adamarem illa studia, quam nunc pla- cuit seni: non tantum ob divinam quandam orationis felicitatem, verum etiam ob pectoris eruditi sanctimoniam. Profecto meum afflavit animum, meque mihi reddidit meliorem (1524 Op. III 1881 F; vgl. auch III, 596 f.). 10) Am bezeichnendsten vielleicht ist die den späteren Aus- gaben des neuen Testaments vorgedruckte Epistola de philosophia evangelica. Ihr ganzer Inhalt scheint mir so bezeichnend für die Gesamtauffassung des Erasmus zu sein, dass der Abdruck eines grossen Teils berechtigt sein dürfte. Im Beginn wird ausgeführt, dass die Philosophie Christi es nicht mit der essentia divina zu tun habe (mit Berufung auf Rom. 11, 33). NuUum autem my- sterium magis ad nos pertinet, quam ineffabile consilium, quo deus per filium suum restituit humanum genus. In huius con- templatione crebro versanti nonnunquam illud mihi visum est vestigatu dignum, ecquod operae pretium fuerit, ut ipse dei filius, factus homo, doctrina sua viam salutis nobis ostenderet. Nam ingens aliquod operae pretium fuerit necesse est. Atqui vix quic- quam est proditum evangelicis litteris, quod non multis ante se- culis proditum fuerit veteris testamenti voluminibus, quaedam etiam philosophorum libris; animas superstites esse corporibus, proque meritis actae vitae vel praemiis vel poenis affici, praeter alios docuit Socrates ille Platonicus. Idem docet non esse virum iustum, qui malit desinere esse iustus, quam sustineat haberi in- iustus. Docet animum abducendum ab amore rerum visibilium — 51 — ad Studium earum, quae vere semperque sunt. Docet mortem non esse metuendam, sed optandam potius ei, qui bene vixerit. Docet non opportere quenquam suis factis fidere, sed tamen eum, qui conatus est pro viribus pure vivere, oportere de benigno deo bonam habere spem. Haec an non congruunt cum illis evangeli- cis dogmatibus ? . . . . lam vero lex charitatis, quae sola cunctas complectitur leges, an non plane diligenterque tradita est in vetere testamento? .... Neque desunt exempla fortium, qui pro iustitia passi sunt extrema, quemadmodum evangelici martyres. Auch die miracula und das sacrae triadis mysterium fehlen nicht. De patris nomine plena sunt omnia ; filiiilocis aliquot mentio, quem Augustinus testatur sese et in Platonicorum libris reperisse; Spi- ritus divini nomen ac vis non tacetur. Reviviscentiam corporum docuit lob, et ante Christum natum credebant Pharisaei. Haec inquam omnia quum tot retro saeculis fuissent prodita, quid erat illud novum, cuius gratia filius dei descendit in terras, qui se pro- .fitetur novatorem omnium? Equidem dicam meam sententiam, sed ita ut integrum sit sum cuique iudicium, si quis quid habet, quod vero sit propius. Quum yetus testamentum fuerit umbra ac veluti progymnasma philosophiae evangelicae, quumque evangelica doctrina sit in- stauratio simul et perfectio naturae, ut erat primum condita sincere, mirum videri non debet, si philosophis quibusdam ethni- cis datum est, naturae vi quaedam animadvertere, quae cum doc- trina Christi consentiant, quum teste Paulo iisdem contigerit ex visibili mundi fabrica ea colligere, quae non oculis, sed animo comprehenduntur, usque ad sempiternam dei virtutem ac divinita- tem . . . Quid igitur eximium habet ille rerum omnium inno- vator? Multa sane. Primum quod absolutae virtutis, vel prae- cepta vel exempla, quae per partes alia ab aliis prodita fuerant, hie unus et tradidit et expressit omnia. Nee tradidit solum, sed infibdt, inculcavit, variisque parabolis sie impressit animis omni- um ut elabinon possint. Et sie expressit moribus ac factis, ut tota vita nihil aliud sit quam absolutum quoddam exemplar ab- solutae caritatis, modestiae, tolerantiae, clementiae ac mansue- tudinis. Hanc harmoniam, hunc omnium virtutum concentum in nullo sanctorum reperies, praeterquam in uno Christo Jesu. Si- quidem hie erat vere sermo ille contractus et in compendium re- dactus, quem tan dem feeit dominus super terram, in quo reca- pitularet omnia, quae in coelis et quae in terris, ut quaecunque 4* — 52 — e tot libris, e tot sanctis viris ante petebantur, nanc compendio ab uno Christo longe tum expressiora, tarn absolatiora compendio sumi poBsent. Ab hoc semina ac velut elementa pietatis, ab hoc prog^essus et auctos, ab hoc perfectio rectissime snmitar, qui est alpha et omega renim omninm Itaqne non minim est, si philosophiam evangelicam totus mondus, ante in varias philoso- phomm et religionum sectas divisus, unanimi consensn amplexns est. Amplectamur et nos doctoris ac principis nostri monumenta, demusqne operam, ut illius philosophia latissime propagetur . . . non iurgüs, non minie, non armis, non iniurüs, sed simplici pm- dentia sed benefactis, sed mansuetadine et tolerantia. Hac via superat evangelica veritas. Yiyit adhnc et regnat Christas, qni novit et malorum tumoltus et bonorum afflictiones in suam glo- riam vertere. Ei sit bonos et imperium in omne aevum, Amen. Den Irenäus, von dem Erasmus hier sichtlich abhängt, hat er im J. 1526 herausgegeben. 11) Mit der vorhergehenden Anmerkung vgl. man die aus viel früherer Zeit stammende üebertragung griechischer Formeln in der Concio de puero Jesu, die für die Schule des Johann Colet ver- fasst wurde: nostram humanam camem adsumsisti, ut nos in tuae divinitatis consortium adscisceres; nostrum hunc limum induisti, ut nos immortalitatis gloria vestires u. s. w. Op. Y, 602 Cf. YgL auch das Urteil H. Böhmers in seinem soeben erschienenen Schrift- chen über Luther (Aus Natur und Geisteswelt 113. Bändchen) S. 113. 12) Seneca epist. Y, 11 (51), 6. 13. Ich kann mir nicht ver- sagen, an dieser Stelle auf den Aufsatz von Johannes Leipoldt, Christentum und Stoizismus in Zeitschr. f. E.Ge8ch. 27 (1906) S. 129 ff. hinzuweisen. Man lese z. B. S. 136 f. 147—149 und vgl. damit das Enchiridion und den Methodus. 13) Ut ad cor redeat peccator, sola Christi gratia praestat. Yerum ille libere dat eam quibus vult et quando vult (Op. Y 1302 E). Ab ipsis mundi primordiis erat ecclesia iustorum Christi corpus ; erat evangelium, hoc est divinitus revelata remissio peccatorum, ex gratuita dei misericordiapropter Christum erat et gratia quae per fidem purificabat corda, licet et per Christum incamatum et per apostolorum praedicationem tum latius diffusa sit, tum clarius efiulserit. Ac iam tum erat verum, quod toties inculcat beatus Paulus, veram iustitiam nulli contingere per legem aut opera legis, sed per fiduciam erga Christum (Op. Y, 293 Ff). Quid efficiat in nobis vera — 53 — fides? Ante omnia iustitiam adfert gratuita peccatorum omniumremissione, et hinc tranquillam securamque oon- scientiam, dilucidam omnium rerum cognitu necessariarum cog- nitionem (Op. Y, 1079 C). Aditus in ecclesiam fides est, sine qua nihil prodest baptismus. Ac fidem nemo sibi largitur, dei donum est, quo deus quos vult praevenit et ad Christum trahit . . . Nitentibus ad ardua, viribus opus est Homo autem ex sese nihil potest. Fides vero proprie robnr addit homini, ut iam nee mun- dum nee satanam metuat . . . Dominus per fidem nobis aperit ocalos, ut videamus ubi simus, ut horreamus, quod sumus et su- spiremus ad ea quae nondum sumus (Op. V, 489 Cff). Man beachte, wie auch hier in den drei letzten Zitaten die echt pau- linischen Begriffe verbunden sind mit den stoisch-platonisch-apo- logetischen Gedanken. Ueber paulinisch klingende Stellen bei einem Schüler des Erasmus vgl. mein Buch über die Theol. Fa- kultät in Tübingen vor der Reformation S. 219. 14) Quin et ipse dominus in evangelio discipulos in persecu- tionibus gaudere iubet et exsultare. ünde gaudium in rebus tam tristibus ? A certa spe futuri praemii, quoniam merces vestra copiosa est in coelis (Y, 538C). Neque enim contemplatio ma- thematicarum formarum a materiis abstractarum , aut idearum Platonicarum imaginatio praestat, ut bene moriamur; sed si fidei oculis subinde speculemur omnem humanum sensum excedentia bona, quae deus per filium suum Jesum promisit ipsi fidentibus, mala quae comminatus est incredulis et inobedientibus. Haec deterrebunt a peccando , illa provocabunt ad bene agendum (Op. Y, 1295E). Ygl. M. Schulze a. a. 0. S. 42—44 Note; ausserdem an vielen Stellen des Enchiridion und des Methodus. Bezeichnend ist auch, dass die psychologisch-prophylaktischen Regeln zur Yer- meidung .von Sünden aus Aufzählung von Zweckmässigkeitsgründen bestehen. Wenn aber Erasmus daneben immer wieder die reli- giöse Bedeutung der Kirche und ihrer Heilsanerbietungen betont, so glaube ich das nicht für Phrase und für heuchlerische Anbe- quemung erklären zu dürfen. 15) A. a. 0. S. 41 N. 52 : „Man verbaut sich den Weg zum theologischen Yerständnis des Erasmus, so oft man mit Luthers Fragestellungen an ihn herantritt. Erasmus steht überhaupt ausser- halb der durch Faulus-Augustin-Luther bezeichneten Richtung des kirchlichen Dualismus, welche die Wahrheit und Not- wendigkeit des Christentums durch möglichst schroffe Entgegen- — 54 — n setzang des Christlichen und Natürlichen beweisen will. FQr ihn persönlich ist der ethische DnaUsmos der niederen nnd höheren Nator jedes Menschen das Entscheidende, wie er ihn im Enchi- l ridion darlegt* Dass der , ethische* Dualismus des Erasmus, wenn er konsequent sein will, notwendig zum .kirchlichen* über- fEthrt, dafür nur ein Beispiel aus dem Enchiridion: Fax igitur summum illud est bonum, ad quam omnia sua studia mundi quoque amatores refemnt sed f als am ut dictum est. Eamdem et philosophi suorum dogmatum sectatoribus f als o p ol 1 i- cebantur. Christus enim unus eam donat, quam mundus non potest dare (Op. V 9 und lOF.)- Solcher Beispiele gibt es sehr viele, wo Erasmus, ebenso wie die altkirchlichen Theologen, im Verlauf der Darlegungen gezwungen ist, die falsa et erronea fe- licitasi conscientia, pietas u. s. w. der sündigen Heiden zu scheiden von der richtigen Frömmigkeit seit Christus. Der Weg zum theo- logischen Verständnis des Erasmus wird nur eröffnet, wenn man ihn mit Augustin und Luther vergleicht und dem Erasmus seine Stelle bei den Vätern vor Augustin einweist. 16) Die Worte von Max Lenz über Fetrarka sind auch für Erasmus so charakteristisch, dass sie hier ihre Stelle finden mögen : „Es war jedoch nicht blosse Tatenscheu und Gewissenlosigkeit, was ihn in den alten Ordnungen festhielt: seine Ideen, so originell und feindselig er sich geben mag, reichen doch schliesslich nir- gends über die Schranken des katholischen Empfindens hinaus. Wo die höchsten Wahrheiten der Religion, so bekennt er selbst, wo das ewige Heil in Betracht komme, da sei er weder Cicero- nianer noch Flatoniker, sondern Christ. Und in der Tat, wenn der Gedanke der Weltflucht das Grundprinzip der mittelalterlichen Weltanschauung ist, so begegnen wir gerade darin der Lieblings- idee Fetrarkas. Das Buch über die Verachtung der Welt oder .von den geheimen Kämpfen der Seele* hat er selbst als den Schlüssel und die Krone seiner Werke bezeichnet. Wie er aber diese Kämpfe^ schildert, als das ewige Schwanken zwischen Welt- freude und Entsagung, zwischen Himmelssehnsucht und Todes- ängsten, erscheint in ihnen nirgends ein wesentlich neues Moment. Eben das unvermittelte Nebeneinander überschäumender Lebens- lust und pessimistischen Verzagens am Dasein ist ja für das Mit- telalter charakteristisch*. Deutsche Bücherei, Band 18 S. 20 f. 17) Vgl. Op. V. 84 BC. als üeberschrift und Inhaltsangabe für die folgende Darstellung des Lebens Jesu. Den Hauptsatz, dass — 55 — Christus durch Verachtung aller irdischen Dinge zur wahren Glück- seligkeit, zur innocentia, simplicitas, puritas, concordia et Caritas gelangt sei, den hat Erasmus weder in der Bergpredigt noch sonst im neuen Testament gefunden. Von demselben VerfasBer erschien : im Verlag W. Kohlhammer in Stuttgart GeseMclite des aUgemeineii Klreliensats in Wlkrttem- berg (Sonderabdmck aus den Württembergischen Jahrbüchern für Statistik und Landeskunde 1903) gr. 4^ 1904. M. 1.—. Die Matrilseln der UniTersitlU; Tübingen. Im Auftrag der Württ. Kommission für Landesgeschichte herausgegeben von Dr. H. Hermelink. I. Band. Die Matrikeln von 1477—1600. gr. 8». 1906. M. 16.—. im Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) in Tübingen Die Tbeologisebe Falcaltttt in Tübingen ¥or der Refor- mation 1477—1584. 8. 1906. M. 4.80. Jl^rlag öDir X €. Iß. Iß d Ij r (|JattI ^xtbatk) in CübinjjBtt. II I II. ■ i.i II I I . I ' ' " ■'■ I ' ■ II ■ I I ■ I I ■■ II II I Ml Johann Lorenz Mosheim. Ein Beitrag zur Kircliengescliichte des aclitzebnten Jalirli&nderts. > Vott Karl Henssi, Dr. phil. 8. 1906. M. 6.—. 5tttgttft (^otükh ^^jangetiBctg, Btfdjof bet Brüberfirdje. S8on ^ojent am ti^eolofli|<^en @emtttar in ®nabenfelb. ®rof 8. 1906. 2Jl.' 5.—. ®ebunbcn 99^. 6.50. Pietisten. Von Lic. J. Jüngst, Pfarrer in Stettin. Klein, 8. 1906. M. —.50. Kart. M. -.75. Feine Ausgabe geb. M. 1.50. (fietigionageachlchtliofiB Volh8buoh€r IV. 1.) Grundzüge der Kirchengeschichte. Ein TJeb erblick. Von D. Dr. Hans von Schubert, Geh. Kircheurat und PTofesBor der 'J'hpoloitie in Heidelberg. Dritte, verbesserte Auflage. 8. 1906. M. 4.—. Gebunden M. 5.—. „Das ist ein Buch für unsere Zeit! Geschrieben für die vielen „Fachmänner^, die ein dickleibiges Lehrbuch der Kirchengeschichte dnrchaus studier- ten mit heisser Müh, bis ihnen ob einem Wust von Zahlen, Namen tind Daten der Kopf wirbelt, und für die noch zahlreicheren „Nichtfachleute*^ , die es allmählich einsehen lernen, dass die Kirchengeschiähte doch etwas mehr ist, als ein Mischmasch von Irr- tum und Gewalt, die aber mit den herkömmlichen Lehrbüchern lediglich nichts an- fangen können, selbst mit Hase nicht, denen andererseits Bücher wie Baum und Geyer «u leichte Kost sind — so liegt Hans von Schuberts Werk vor uns. Der Verfasser hat sein Werk einen „Ueberblick" genannt, jedenfalls steht es auf hoher Warte. Es zieht die ganze Entwicklung des IVIenschengeietes in den Kreis seiner Betrachtung, innerlich unabhängig und frei genug, um Überall und grundsätzlich jeden guten und ehrlichen Willen anzuerkennen, und um die Schranken unserer Menschlichkeit überall, auch bei den gefeiertsten Helden anzuerkennen und aufzudecken. Für jeden, der sich vor ern- sten Denkaufgaben nicht scheut, eine wahre Festgabe!" Die Wartburg. 1904. Nr, 3S. Berlag von X <&. B. Mo^c (T^ml S\ebsii) in CüMngen. J1» Reformation und Ketzerprozess. Von Lic. Dr. W. Köhler, Professor in Giesseu. ' 8. 190L M. 1.—. (Sammlunff gemeinverstUndlicher Vorträge und Sekreten axis dem Gebiet der Theologie und Heligionsgeschichte. Nr. 22). Die geistlichen Übungen des Ignatius von Loyola. ' Eine psychologische Studie. Ton ' D. Karl Hell, jetzt Professor der Kircliengeschichte au der Universität Berlin. 8. 1905. M. .-..60. ( Sammhintj gemeinverständlicher Vorträge und Schriften aus dem Gebiet der Theologie und Heligionsgesckichte. Nr. 41.) Atlas zur KixchengescMchte. Von ' K. Heussi und H. Muler t. 66 Karten auf 12 Blättern. Lex. 8. 1905. Kart. M. 4.—. Druck von H. Laupp jr in Tübingen. I r fü ^i- •i